Managerismus
Denkzettel Nr. 4
25.07.2008

Titel-Helden. Ehrenhalber?

von Julius Lengert

Von Orden sagt man, dass sie verdient, erdient oder erdienert werden. Bei akademischen Titeln liegt die Sache etwas anders. Sie werden entweder als Nachweis des ordnungsgemäßen Abschlusses eines Fachstudiums erworben oder ehrenhalber – honoris causa– von einer Universität oder Hochschule verliehen. Mit der Verleihung eines solchen Titels sollen die Verdienste in und um ein bestimmtes Fachgebiet, die sich jemand außerhalb der Wissenschaftswelt erworben hat – nicht selten ein ganzes Lebenswerk eines Pioniers oder Förderers der Wissenschaften –, anerkennt und gewürdigt werden. Es geht hier um das Verdienst, der Verdienst spielt dabei keine Rolle. 

Im Gegensatz zu einem Orden kann man sich aber einen solchen Titel weder erdienen noch erdienern. Wegen des Selbstverständnisses der Universitäten und Hochschulen als autonome Institutionen und ihres Ideals der selbstbestimmten, freien Forschung und Lehre sind sie streng auf ihre Unabhängigkeit bedacht und verwahren sich gegen jede Einflussnahme von außen.

Anders als in den USA, wo Privatpersonen wie Unternehmen offen als Sponsoren und Förderer von Universitäten auftreten, galt in Deutschland traditionell eine Finanzierung der Universitäten durch Industrieunternehmen in Form von Stiftungslehrstühlen und Projektfinanzierung als anstößig. In der heutigen Zeit, in der ein Lehrstuhlinhaber und Institutsleiter am schnellsten zu Einfluss, Macht und Ehrungen kommt, wenn er möglichst viele Drittmittel einwirbt, hat sich die Situation grundlegend verändert. Im Verhältnis von Universitäten und Hochschulen zur Industrie herrscht auch bei uns seit einiger Zeit das do ut des-Prinzip (ich gebe, damit du gibst). Im Zuge der Amerikanisierung auch unseres Geisteslebens ist bei Universitäten und Hochschulen die Schamgrenze deutlich gesunken.

Als Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst, Kriege führen wollte, aber kein Geld hatte, seine Offiziere zu bezahlen, entlohnte er ihre Kriegsdienste, indem er ihnen Adelstitel verlieh (weshalb es noch heute in den ehemals preußischen Gebieten eine auffallend große Zahl von niederen Adelsfamilien gibt).

Die Universitäten und Hochschulen, heute im gleichen Dilemma steckend – sie müssen forschen und lehren, haben aber nicht genügend Geld dafür –, tun das Gleiche: Sie lassen sich Projekte und Kooperationsprogramme finanzieren und Lehrstühle stiften – das heißt Professorenstellen und Institute bezahlen – und verleihen als Gegengabe akademische Ehrentitel. Das ist plausibel und probat. Verwunderlich ist dabei nur, wie viele „Männer aus der Wirtschaft“ um die Gunst der Universitäten buhlen, um einen Doktor- oder Professorentitel h.c. zu erhalten. Die Tatsache, dass auch Professorentitel längst nicht mehr das sind, was sie einmal waren, weil der Professorentitel in den letzten Jahrzehnten eine Inflation und damit einen entsprechenden Kursverfall erlebt hat, scheint sie nicht abzuhalten.

Einen Professorentitel zu erwerben war früher mühselig und zeitraubend. Man musste zunächst promovieren, dann mehrere Jahre als wissenschaftlicher Assistent Kärrnerdienste leisten und eine Habilitationsschrift verfassen, die mindestens als Nachweis außergewöhnlichen wissenschaftlichen Fleißes gelten konnte. Heute kann z.B. ein Designer oder Fotograf sogar ohne Abitur mit etwas Glück und Geschick Professor werden. Professor ist heute in vielen Fällen kein erworbener Titel mehr, sondern eine zugewiesene Berufsbezeichnung. Ungeachtet dessen ist das begierige Streben nach einem solchen Titel, klinisch als Titulomanie bezeichnet, unter heutigen Manageristen auffällig stark verbreitet.

Früheren Top-Managern z.B. von Siemens, Bosch, Mercedes oder Krupp wäre es niemals eingefallen, sich den Universitäten und Hochschulen anzudienen, um eventuell einen Professorentitel verliehen zu bekommen. Ein Josef Abs – er buchstabierte seinen Namen bekanntlich mit A wie Abs, B wie Abs, S wie Abs und pflegte auf die Frage, ob er Vorstand sei, zu antworten: „Ich bin kein Vorstand, ich ernenne welche!“ –, ein Oetker oder ein Mohn (Bertelsmann), um drei „Große“ zu nennen, begnügen sich mit ihrem einfachen Familiennamen, obwohl sie zahlreiche Ehrentitel besitzen. Die früheren Siemens-Chefs fügten allenfalls ein Dr.Ing. e.h. ihrem erworbenen Doktortitel hinzu. Das war’s. Sie wollten nicht Professor sein und nicht etwas anderes als was sie waren. Es wäre ihnen nachgeradezu ungehörig vorgekommen, sich mit einem Professorentitel zu brüsten. Sie hatten es einfach nicht nötig.

Die Titelsucht der heutigen Manageristen erklärt sich auf gleiche Weise: Sie haben es nötig! Man kann das auch in anderen Fällen – Adelsfamilien oder andere gesellschaftliche Gruppierungen, Institutionen und Gemeinschaften – beobachten: Wenn die Substanz brüchig wird und schwindet, werden die Äußerlichkeiten, die Formen überbetont.

Die Manager alten Schlages fühlten sich dem Unternehmen, dessen Geschicke in ihren Händen lagen, verpflichtet. Sein Wohl zu sichern und zu mehren, betrachteten sie als ihre vornehmste Aufgabe. Sie betrachteten sich mehr als Dienende denn als Herrschende. Sie wussten, wer sie waren, sie hatten Identität, Kultur und Selbstsicherheit und waren auf Professoren- und Ehrendoktortitel als Statussymbole nicht angewiesen. Die Manageristen dagegen brauchen diese Persönlichkeitsprothesen und Identitätskrücken, um „jemand zu sein“. Dabei weiß jeder, dass eine Person, ein „Jemand“, nicht von außen aufgebaut werden kann, sondern von innen, von der Substanz her wachsen und reifen muss. Bei dem suchtartigen Bestreben der Manageristen, einen Professoren- oder Doktortitel (ehrenhalber) zu ergattern, setzen sie nicht nur einen beträchtlichen Teil ihrer Arbeitszeit ein, der eigentlich den Interessen des Unternehmens dienen sollte, es fließen in der Regel auch reichlich Gelder an die Universitäten und Hochschulen aus der Kasse des Unternehmen, über die sie verfügen.

Wenn z.B. ein Herr Feldmayer, der sich – anerkanntermaßen verdienstvoll – vom Siemens-Stammhauslehrling zum Vorstand hocharbeitete, von der TU Berlin trotz des Einwurfs, dass er keinen akademischen Abschluss habe, mit einem Professorentitel bedacht wurde, oder ein Herr Mirow, langjähriger „Unternehmenstheoretiker“ bei Siemens, dort Honorarprofessor wurde, nachdem die Siemens AG an der TU Berlin ein „Center of Knowledge Interchange“ eingerichtet und finanziert hatte, sagen sich die Berliner: „Nachtigall, ick hör dir trapsen“. Und wenn ein Herr Radomski mit dem gleichen Karriereweg vom Siemens-Stammhauslehrling zum Zentralvorstand, der auch selber keinen Doktortitel erworben hat, sich einen Dr.rer.publ. und einen Dr.techn.h.c. verleihen ließ und fast noch einen dritten Ehren-Dr. med. der Universität Greifswald erhalten hätte, bei der zeitgleich ein umfangreiches Kooperationsabkommen mit der Siemens AG abgeschlossen wurde – eine mögliche Verwicklung in den AUB-Korruptionsfall bei Siemens kam dazwischen –, dann weiß man: diese Nachtigall hat Nagelschuhe an.

Solche Beispiele lassen sich beliebig mehren. Auch die TU München, mit der es ebenfalls ein umfassendes Kooperationsprogramm mit der Siemens AG gab, geizte nicht mit akademischen Ehrentiteln für Siemens-Manager. Nutznießer waren in diesem Fall ein Herr Pribilla, ein Herr Krubasik und ein Herr Ganswindt. Im Klartext: Auch hier flossen Gelder aus der Siemens-Kasse zum Erwerb von akademischen Ehrentiteln. Im Jahr 2004 gab es im Siemens-Vorstand eine so auffällige Dichte von Managern mit Professorentiteln, dass auf der Hauptversammlung der Begriff „Professorenkollegium“ fiel. Bedauerlicherweise hat diese geballte akademische Weisheit (ehrenhalber) den moralischen, kulturellen und unternehmerischen Niedergang der Siemens AG nicht aufzuhalten vermocht.

Das Verhalten der titelsüchtigen Manageristen ist dazu noch schizophren. In ihrem ganzen sonstigen Verhalten folgen sie einem Wertekanon, der absolut der amerikanischen Vorstellung eines „toughen“ Businessman entspricht: Erfolgsstreben, Durchsetzungsvermögen bis zur Hemdsärmeligkeit, Gehälter und Abfindungen nahe oder jenseits der Schamgrenze, wenig Loyalität und Verantwortungsgefühl gegenüber ihren Unternehmen und deren Mitarbeitern, Fehlen menschlicher und sozialer Skrupel und was dergleichen Charakteristika des typischen Managers „american style“ mehr sind. Nur im Hinblick auf den Erwerb von akademischen Ehrentiteln, die im amerikanischen Geschäftsleben so gut wie kein erstrebenswertes Ziel darstellen, orientieren sie sich am alten europäischen Prestigedenken: ein akademischer Titel muss her!

Bei näherem Hinsehen fällt auf, dass nicht wenige dieser Ehrenakademiker das „e.h.“ hinter ihren Titeln bald weglassen. Entweder ein Zeichen präseniler Vergesslichkeit oder unlauteren Charakters, beides nicht gerade Qualitäten, die einen Vorstand oder Manager in hoher Position auszeichnen. Ein Herr Volker Jung erschien im Google-Eintrag als Dr.eng., was bei Journalisten, die ihn zitieren wollten, immer wieder zu Nachfragen führte, weil sie es für einen Schreibfehler hielten. Die Erklärung: Nach längerer Suche fand sich schließlich eine University in Florida, und weil es eine Auszeichnung auf technischem Gebiet sein sollte, machte man einen Dr.eng. (= engineer) daraus, ein Titel, den es so im amerikanischen Sprachgebrauch gar nicht gibt. Der Titelsucht dieses Herrn stand das aber nicht entgegen. Im Industrieanzeiger vom Juli 2008 las sich die Unterschrift zu seiner Personalie: Dr. Volker Jung. Das Gleiche war schon in den Mitteilungen der Technischen Universität München vom März 2004 der Fall gewesen. So wird auf unehrenhafte Weise aus einem „Dr. ehrenhalber“ schnell ein „richtiger“ Doktor, ein Taschenspielertrick oder eine Rosstäuscherei, die auch andere Manageristen beherrschen. 

Der Unternehmensbereich Kommunikationstechnik der Siemens AG, Aushängeschild und Erfolgsgrundlage seit  Gründung, ging während der selbstherrlichen Betreuung durch Herrn Jung auf Talfahrt und ist heute in andere Hände übergegangen (aus vormals Siemens & Halske und dann Siemens Com wurde Nokia Siemens Networks); die industrielle Führung wanderte zu Nokia ab. Geblieben ist der Doktortitel des Manageristen Jung.

Die titelsüchtigen Manageristen in den Unternehmen befinden sich in der heutigen deutschen Wirtschaft in guter Gesellschaft. Die Unternehmensberater, derer sie sich bedienen und die sie mit hochdotierten Aufträgen versehen, leiden ebenso auffällig an Titulomanie. Herbert Henzler, Deutschland- und schließlich Europa-Chef von McKinsey, war mit Mirow, dem bei Siemens eine wichtige Auftragsvermittlerrolle für McKinsey nachgesagt wurde, Honorarprofessor der LMU für „Strategie- und Organisationsberatung“. Utz Claassen, Ex-McKinsey-Mann und EnBW-Chef mit großer Nähe zur Politik, insbesondere zum damaligen Bundeskanzler Schröder, mit ausgeprägtem Sinn für Ego- und Imagepflege (lt. Wikipedia und Handelsblatt beschäftigt er zeitweise bis zu 20 PR-Berater) erhielt sogar eine „richtige“ Professur an der Uni Hannover.

Was ist die Ursache dieser Psychopathologie im Wirtschaftsleben?

Diese psychische Störung wurzelt in zwei Bereichen. Bei den Manageristen in den Unternehmen lässt sie sich auf Eitelkeit, Kompensationsbedürfnis auf Grund von Minderwertigkeitskomplexen und personaler Schwäche zurückführen oder einfach mit typischem Parvenü-Verhalten erklären. Bei den Consultants wiederum kommt zum Motiv der Eitelkeit und Kompensation noch ein anderes Moment hinzu: die kalkulierte Imagepflege. Weil die gesamte Consultant-Branche, was die Solidität und Integrität ihrer Arbeitsweise und Leistungen betrifft, nicht den besten Ruf genießt und in letzter Zeit immer mehr ins Gerede kommt, ist es für einen Consultant aus psycho-strategischen Imagegründen sehr wichtig und nützlich, sich ein Mäntelchen von Ehrenhaftigkeit, pro bono-Tätigkeit, wissenschaftlicher Kompetenz und Zuverlässigkeit umzuhängen. Das schlägt z.B. bei der Jagd nach lukrativen Beratungsaufträgen der öffentlichen Hand direkt zu Buche.

Während Manageristen wie die Herren Krubasik (ex-McKinsey, dann Siemens Zentralvorstand), Radomski & Co. von Rechts wegen dem Unternehmen Siemens leicht 10% ihres Gehaltes zurückerstatten müssten als Ausgleich für die Zeit, die sie für die Befriedigung ihrer Titelsucht aufwendeten (vom dafür eingesetzten Siemens-Geld ganz zu schweigen), erweisen sich diese Praktiken in der Consulting-Branche als absichtsvoll investiertes Kapital, das seinen ROI bringt.

Grundsätzlich gilt für alle Titolomanen unter den Manageristen das Gleiche, was man früher, als man die Frau eines Herrn Doktor noch mit „Frau Doktor“ anzureden pflegte, einer Studentin sagte: Entweder du machst einen Doktor oder du heiratest einen. Will sagen: Entweder man erwirbt einen Doktor- oder Professorentitel durch ein ordentliches Studium oder man erkauft sich einen – am besten mit anderer Leute Geld.

Übrigens: Es werden immer noch akademische Ehrentitel auch für tatsächliche Verdienste verliehen – wirklich ehrenhalber.