Unternehmen & Branchen
Denkzettel Nr. 12
19.02.2010

Ecomagination at work - at GE?

von Julius Lengert

Schlagertexte sind in aller Regel nicht darauf ausgerichtet, tiefere Erkenntnisse über das Leben und die Realität zu vermitteln. Sie zielen auf Anderes ab – sie wollen von der Realität ablenken, einlullen, eine Traumwelt vorgaukeln. Hin und wieder allerdings spiegelt ein Schlagertext die Lebenswirklichkeit ganz exakt wider und wird so zur realistischen Aussage. In Zeiten, wo dank gekonnter „Pflege der politischen Landschaft" (Ex-Flick-Manager Eberhard von Brauchitsch) die Geschäfte bei Thyssen-Krupp, VW, Siemens oder MAN wie geschmiert liefen, trifft z.B. der „Tango korrupti" von Rainhard Fendrich den Nagel auf den Kopf.

Hier soll aber nicht von Korruption, Lug und Betrug oder anderen unschönen Dingen die Rede sein, sondern von etwas durch und durch Positivem, nämlich von beispielhaftem Umweltschutz und ernsthaft betriebener Nachhaltigkeit eines Industrieunternehmens.

Allgemein werden Industrieunternehmen nicht primär mit Umweltschutz assoziiert. Zwar pflegte bei Werksbesichtigungen in einem Siemens-Werk, in dem mit giftigen Säuren gearbeitet wurde, der Betreuer schon vor Jahrzehnten die Besucher zu schrecken, indem er ihnen am Ende des Rundgangs ein Glas vom Abwasser zu trinken anbot. Einige Besucher taten das – zögerlich und erst, nachdem er selbst davon getrunken hatte, um dann festzustellen: das von der Produktionsstätte in die städtische Kanalisation fließende Abwasser hatte Trinkwasserqualität. Fujitsu Siemens brachte schon 1993 (unter der Marke Siemens-Nixdorf) den ersten Computer auf den Markt, der zu hundert Prozent aus recyclebaren Materialien bestand, und erhielt als erster PC-Hersteller das Umweltzeichen „Blauer Engel". BMW gelang es mit geeigneten Maßnahmen, die Umweltbelastung durch die Lackierstraße praktisch gegen Null zu senken. Andere Firmen machen ähnlich erfolgreiche Anstrengungen, ihre Produkte umweltfreundlich herzustellen, nicht selten weit über das gesetzlich vorgeschriebene Maß hinaus. Überhaupt ist es bei genauerem Hinsehen respektabel und erstaunlich, welchen Standard der praktizierte Umweltschutz zumindest in vielen deutschen Unternehmen heute erreicht hat.

Dennoch gibt es kaum ein Unternehmen, das im öffentlichen Bewusstsein als Beispiel für praktizierten Umweltschutz gilt. In dieser Hinsicht steht die gesamte Industrie bei der Bevölkerung weltweit praktisch unter Generalverdacht.

Ein einziges Unternehmen hat es allerdings geschafft, sich der Öffentlichkeit gegenüber das Etikett „Umweltschutz und nachhaltiges Wirtschaften" anzuheften: GE, General Electric. In konsequenter Befolgung der amerikanischen Devise "Tue Gutes und rede davon" ist es dem Unternehmen gelungen, die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, General Electric tue mehr als andere für den Umweltschutz, GE sei mehr als clean, GE sei "grün" – GE sei als Unternehmen, was Umweltschutz und Nachhaltigkeit angeht, vorbildlich.

Das geschah hauptsächlich durch eine massive Werbe- und PR-Kampagne, mit der auf die neuen, in der Tat besonders umweltschonenden, emissionsarmen GE-Produkte hingewiesen wurde. Es konnte der Eindruck entstehen, die Forschungs- und Entwicklungsabteilung bei General Electric wäre mit nichts Anderem beschäftigt, als umweltfreundliche, Ressourcen schonende, quasi „grüne" Produkte zu entwickeln. Für heute und für die Zukunft.

Jetzt aber wurde GE von ihrer Vergangenheit eingeholt: Die angesehene amerikanische Zeitschrift Harper's Magazine berichtet unter dem Titel „Der große Schwindel von General Electric" über einen Umweltskandal ungeheuren Ausmaßes, als deren Verursacher GE gilt. Dabei geht es um die massive Verseuchung des Hudson River (an dem die Produktionsstätten von GE liegen) durch die hochgiftige chemische Substanz PCB (polychloriertes Biphenyl), die bei GE unter der Bezeichnung Pyranol verwendet wird. Pyranol ist ein synthetisches Öl von sirupartiger Konsistenz. Es leitet Strom ohne Spannungsverlust, verhindert Kurzschlüsse, ist feuchtigkeitsabweisend und schwer entflammbar, also sehr sicher im Gebrauch. Aus diesem Grund wurde es bei GE überall verwendet, wo es um Stromverteilung ging, z.B. in Kondensatoren, Transformatoren und Stromleitungen.

Wegen seiner gesundheitsschädlichen Eigenschaften – es ist krebserregend – wurde seine Verwendung 1977 verboten. Bis dahin entsorgte GE seine PCB-haltigen Abwässer ungefiltert in den Hudson, die gebrauchten Kondensatoren kamen auf die Müllkippe oder wurden irgendwo in der Umgebung vergraben. Allein in den Jahren von 1947 bis 1977 wurden nach einem Bericht der Umweltschutzbehörde aus dem Jahre 2002 EPA 600 Tonnen (von dritter Seite wird die Menge wesentlich höher angenommen) dieser hochgiftigen Substanz in den Hudson River geleitet.

Die Folge: Wasser, Flussbett und Ufergelände des Hudson wurden auf einer Strecke von 200 Meilen massiv mit PCB verseucht. PCB hat eine Zerfallszeit von mehreren hundert Jahren und wird deshalb nicht so schnell wieder aus dem Hudson verschwinden. Der Untertitel des Berichtes in Harper's Magazine lautete deshalb „Why the Hudson River will never run clean".

Der kommerzielle Fischfang wurde auf Jahrzehnte hinaus ganz untersagt. Hobbyangler werden darauf hingewiesen, nicht öfter als einmal im Monat im Hudson gefangenen Streifenbarsch zu essen, weil Messungen heute noch 188 ppm (Parts per Million) PCB-Belastung ergaben. Der für den menschlichen Verzehr erlaubte Höchstwert liegt bei 2 ppm. Am Fischkai in New York City warnen Anschläge schwangere Frauen und Kinder unter 15 Jahren davor, überhaupt Fisch aus dem Hudson zu essen.

Dieses Umweltdesaster könnte behoben werden, wenn das gesamte Flussbett samt Uferstreifen gründlich ausgebaggert und der Klärschlamm in geeigneter Weise entsorgt würde. Eine solche Entscheidung der Behörden hat GE aber in einem über 20jährigem Rechtsstreit bisher mit allen Mittel zu verhindern gewusst, denn nach dem Verursacherprinzip müsste GE zumindest für einen Teil der Kosten dafür aufkommen – und das würde teuer.

In einem internen GE-Papier aus dem Jahr 1969 ist zu lesen, dass allein in der Kondensatorenfertigung 450 Tonnen PCB jährlich verarbeitet wurden. All dieses Gift findet sich nicht nur im Hudson River, sondern ebenso im Gelände rings um GE-Fertigungsstätten. Allein unter einem einzigen Parkplatz beim GE-Werk Fort Edward wurden 725 Tonnen Pyranol gefunden. 725 Tonnen!

In den gerichtlichen Auseinandersetzungen um die Verpflichtung zur Ausbaggerung des Hudson argumentierte GE stets damit, der Hudson würde sich durch die „natürliche Auflösung" des PCB im Laufe der Zeit selbst entgiften. In einem Disput mit der dominikanischen Nonne Patricia Daly, die die unmoralischen Praktiken von GE anprangerte, schreckte der General Electric-CEO Jack Welch nicht vor der Behauptung zurück, PCB stelle kein Gesundheitsrisiko dar und deshalb bestünde für GE keine Veranlassung, die Bevölkerung vor irgendwelchen Gefahren zu warnen – angesichts der auch ihm bekannten Zerfallszeit von PCB (mehrere hundert Jahre) eine dreiste Lüge.

Den Gipfel des Zynismus leistete sich GE, indem sie Grundstücke an Privatleute und Kommunen für den Bau von Häusern und Schulen verschenkte. PR-mäßig ließ sich das gut als soziale Großtat vermarkten. Dass es sich um extrem verseuchten Grund handelte, wurde verschwiegen. So konnte es geschehen, dass heute in Allendale eine Schule auf einem ehemaligen Sumpfgebiet steht, das mit Industrieabfall von GE aufgefüllt wurde. Messungen im Innern dieses „Müllbergs" ergaben einen PCB-Gehalt von 120000 ppm! Die gesetzliche Vorschrift in den USA lautet, dass im Umkreis von 500 Metern um eine Schule herum nicht einmal eine normale Hausmülldeponie angelegt werden darf. Gelten solche gesetzlichen Vorschriften für das renommierte Unternehmen General Electric nicht einmal für hochgefährlichen Sondermüll? Gutes Lobbying macht's möglich.

Die Fakten zeigen: GE ist einer der größten Umweltsünder der USA.

Die New York Times nannte die Verseuchung des Hudson River den massivsten und gravierendsten Fall von industrieller Umweltverschmutzung, den es je gab. Fachleute haben im Flussbett des Hudson über 40 „hot spots" geortet, die von früheren Pyranol-Ablagerungen herrühren und heute noch kontinuierlich hochgiftiges PCB in das Flusswasser abgeben.

Wie hat GE es nur geschafft, sich als grünes, für Andere vorbildliches Unternehmen in Sachen Umweltschutz und Nachhaltigkeit darzustellen?

Ganz einfach: GE hat im Gefolge der Initiative "Imagination at work", mit der GE für seine leadership in Innovation und Nachhaltigkeit warb, auch den Begriff „eco-imagination" geprägt und als Claim für GE beansprucht. Die Rechnung ging auf: Das konsequente Streben nach dem grünen Image hatte Erfolg – eine PR-Leistung, die höchsten Respekt verdient. Allerdings hat sich das Unternehmen diesen Erfolg auch einiges kosten lassen: In der Zeit von 1990 bis 2005 investierte GE 122 Millionen Dollar, um die Ausbaggerung des Hudson River zu verhindern, 17,4 Millionen Dollar wurden in politische Kampagnen mit ähnlicher Zielrichtung gesteckt. Und mit dem Sitz des derzeitigen CEO von General Electric, Jeffrey Immelt, in Präsident Obamas Economic Recovery Advisory Board dürften ebenfalls ganz bestimmte Absichten verfolgt werden.

Unter manageristischem Gesichtspunkt war die „grüne" PR-Aktion eine richtige Entscheidung: Anstatt eine teure Lösung des Problems auf der Tatsachenebene zu finanzieren, die allenfalls langfristig einen wenig spektakulären Erfolg gebracht hätte, investierte man einen Bruchteil des dafür erforderlichen Geldes in Aktionen auf der Metaebene, in die Schaffung einer Zweitrealität und Erzeugung eines schönen Scheins, die einen schnellen Erfolg versprach. Dass diese Seifenblase irgendwann platzen würde, war voraussehbar, aber es ist ebenfalls typisch für manageristisches Verhalten, sich an kurzfristigen Zielen zu orientieren: Das Denken in der Langzeitperspektive ist dem Manageristen fremd.

Um auf das Thema Schlagertexte zurückzukommen: Der „große Schwindel von General Electric" ist ein zweites Beispiel dafür, dass manchmal ein Schlagertext treffend und realistisch einen Sachverhalt beschreibt. Es ist ein Song von Mary & Gordy mit dem Refrain: Meistens ist gar nichts dahinter/ meistens ist gar nichts dabei./ Lauter Schaum, lauter Luft/ und der Luftballon verpufft/ und der Strauß legt nur ein Spatzenei./ Meistens ist gar nichts dahinter/ alles nur Schwindel und Schein/ doch man merkt's und ist still/ weil man's gar nicht wissen will/ und man fällt ganz gern drauf rein....

Julius Lengert, 19. Februar 2010