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Gute Unternehmensführung
Denkzettel Nr. 67
18.02.2021

Alexander Brochier: Unternehmer - Stifter - Bürger

von Ralf Angstmann

 

 

Alexander Brochier ist ein Unternehmer, der dadurch in Erinnerung zu bleiben hofft, dass er für andere da ist; der sich stark sozial engagiert und Zufriedenheit darin findet „mit anderen Menschen zusammenzukommen, mit denen man sonst nicht zusammenkommt und dabei andere Seiten des Lebens kennenzulernen“; der fordert, dass reiche Menschen von ihrem Vermögen etwas abgeben sollen und mit gutem Beispiel voran geht; der die Gesellschaft verändern will und der gemeinschaftsschädliches Handeln von Managern aber auch von Unternehmern kritisiert; der in der vierten Generation ein Nürnberger Traditionsunternehmen führte, den Staffelstab an seinen Neffen weitergab, als Gesellschafter weiterhin im Hintergrund wirkt.

Erfolgreicher Unternehmer wider Willen

Alexander Brochier hatte nach dem Abitur ganz andere Lebenspläne als in das von seinem Urgroßvater Paul als „Brochier Installationsgeschäft“ 1873 gegründete und später von seinem Vater Michael und Onkel Paul geleitete Unternehmen einzutreten. Er begann 1970 ein BWL-Studium in Innsbruck, wechselte bald nach Heidelberg, wo seine Koordinaten auf einer recht linken Universität stark verschoben wurden. Nach einem Semester VWL wollte er Entwicklungshelfer in Afrika werden und nebenbei Theaterwissenschaften studieren. Klärende Gespräche mit dem Vater und die Drohung, finanzielle Konsequenzen tragen zu müssen, veranlassten ihn dazu, BWL an mehreren Universitäten zu studieren und letztlich erfolgreich abzuschließen. Mit 26 Jahren startete er sein Berufsleben im Familienunternehmen.

Aus dem, gemeinsam von seinem Vater Michael und dessen Bruder Paul geführten Unternehmensverbund „Hans Brochier“, wurde der organisatorisch bereits abgetrennte Geschäftszweig Haustechnik ausgegliedert und Anfang der 1990er Jahre übernahm Alexander Brochier die Allein-Geschäftsführung. Zweck der Brochier-Haustechnik GmbH war, „ehrliche Handwerksleistungen für die Region“ zu erbringen.

Welche Folgen unternehmerische Fehlentscheidungen nach sich ziehen können, konnte er aus nächster Nähe miterleben. Hans Brochier war Europas größter Rohrleitungsbauer mit 10.000 Mitarbeitern und rund 3 Mrd. Euro Umsatz. Das Unternehmen wurde unterdessen von angestellten Geschäftsführern gemanagt. Risikoreiche Großprojekte in Afrika und Asien und prestigeträchtige Projekte in den neuen Bundesländern ließen einen Verlust von über 250 Mio. Euro auflaufen - und führten 2006 in die Insolvenz.

Den Verlockungen des schnellen Gewinns infolge einer riskanten Firmenpolitik widerstand Alexander Brochier immer. Durch Diversifizierung bei gleichzeitiger Vertiefung der Kompetenz führte er seine Firma durch manche Branchenkrise. Unter dem Dach der Brochier Holding firmieren inzwischen mehr als ein Dutzend spezialisierter Unternehmenseinheiten „überschaubarer Größe“. Brochier bietet „Technik für Menschen“ – der tropfende Wasserhahn im Seniorenhaushalt zählt ebenso zum Aufgabenspektrum wie die Installation komplexer Anlagentechnik in einem Industriebetrieb. Tradition und Innovation sind für ihn nicht Widerspruch, sondern Programm.

Der Mensch als Mitarbeiter im Unternehmen hat für Alexander Brochier besonderen Stellenwert. Familienunternehmen wird als große Familie gelebt. Social Events haben den Charakter einer Familienfeier mit einem Chef, der stets ein offenes Ohr für Probleme seiner Mitarbeiter hat. Wichtiges Anliegen ist ihm der „Familien-Nachwuchs“. Das hierfür ins Leben gerufenes „Team Zukunft“ informiert an Schulen über Ausbildungsberufe und organisiert Azubiprojekte. „Lust auf Handwerk“ brachte beachtliche Früchte: Seit Jahren liegt die Ausbildungsquote bei über 20 Prozent.

Jung trifft alt bei Brochier. Nicht nur die Zahl der Azubis beeindruckt, auch die Zahl der Jubilare erstaunt. Verantwortung des Unternehmers für die Mitarbeiter wird gelebt. Mitarbeiter erhalten die Freiheit, Abläufe und Prozesse anders zu gestalten. Besteht die Lösung den Test am Ende der dafür eingeräumten Zeit, wird umgesetzt, anderenfalls das Vorhaben ohne Nachfrist beendet. Bei allen Freiräumen und unkonventionellen Lösungen gibt es klare Regeln, die den Mitarbeitern Sicherheit und Orientierung vermitteln. Vertrauen bindet und motiviert gleichermaßen. Auf diese Weise sichert das Unternehmen sein wichtigstes Kapital, die Belegschaft.

Wie sehr er dieses „Kapital“ hegt, belegt die Tatsache, dass er zu seiner aktiven Zeit als Geschäftsführer alle Mitarbeiter mit Namen kannte und sich für persönliche und familiäre Belange interessierte. Die „Brochianer“ beschreiben ihren Chef im Gegenzug „als stets offen, in allen Gesprächen auf Augenhöhe, immer zu einem „Späßle“ aufgelegt, beständig fair und berechenbar“.

Die Tatsache, dass Alexander Brochier sich 2016 aus dem operativen Geschäft der Holding zurückzog, bedeutet nicht das Ende seines Engagements im Unternehmen. Als Hauptgesellschafter setzt er weiterhin Akzente, so ist sein Zukunftsprojekt die Einführung und Umsetzung einer Gemeinwohl-Strategie. Faires Geschäftsverhalten, mitarbeiterorientierte Personalpolitik, sparsamer Einsatz natürlicher Ressourcen, Schutz von Umwelt und Klima, ernst gemeintes Engagement vor Ort und Verantwortung in der Lieferkette sind Einstellungen, die bei Brochier gelebt werden, aber ständige Festigung brauchen.

Ausdauernder Anstifter

Bei einem Managementseminar kam Alexander Brochier zur Erkenntnis, dass Unternehmer sein für ihn zu wenig ist. Ihm kommt es darauf an „Nutzen schaffen, und zwar mehr als andere; Nutzen für die Gesellschaft und die Stadt, in der Du lebst“. Das hatte damit zu tun, dass ihm bewusst wurde, bislang auf der Sonnseite gestanden zu haben. Dies Glück ist ihm keine Selbstverständlichkeit: „Ich hätte auch in einem indischen Slum, auf der Straße in Brasilien oder todkrank auf die Welt kommen können“. Für ihn ist Glück ein unterschätztes Element unternehmerischen Erfolges. Auf den Punkt bringt er es mit dem Satz: „Man kann noch so fleißig und talentiert sein, aber ohne Glück geht im Unternehmen nichts“.

Alexander Brochier suchte und fand Wege, sein Glück mit Menschen zu teilen, die auf der Schattenseite leben. Schon als Student war Brochier gemeinnützig engagiert. Er unterhielt 12 Patenschaften beim SOS Kinderdorf e.V. Nach einem Treffen mit Hermann Gmeiner, dem „Vater“ der SOS Kinderdörfer, war er entschlossen, sein eigenes Kinderdorf zu aufzubauen. 1992 gründete er die nach ihm benannte Stiftung. Der finanzielle Grundstock kam aus dem Verkauf der Unternehmensanteile an der Hans Brochier GmbH. Misstrauen gegenüber großen gemeinnützigen Organisationen und die „Eitelkeit“ etwas zu schaffen, das „unter seinem Namen weiterlebt“, waren wichtige Beweggründe. In den ersten 10 Jahren unterstützte die Brochier-Stiftung Projekte für benachteiligte Kinder und Jugendliche mit mehr als drei Mio. Euro.

Milliardär der „anderen Art“

Alexander Brochier schuf 1995 mit dem „Haus des Stiftens“ eine Einrichtung, durch die andere zum „bürgerlichen Engagement“ bewegt werden sollen und die zum Stiften anregt. Mit seinen Ideen begeistert er andere. Mitarbeiter „der ersten Stunde“ verzichteten in den Gründungsjahren auf einen großen Teil ihres Gehaltes; ein untrüglicher Beleg dafür, dass die Sinnhaftigkeit des Tuns motiviert, nicht die reine Vergütung.

Das Engagement der Stiftung hat sich bis heute verfünfhundertfacht, mit rund 90 Mitarbeitern, mehr als 180 Kinderfonds und 1.600 Stiftungen. In den ersten 20 Jahren seines Bestehens konnten über das „Haus des Stiftens“ eine Milliarde Euro zu gemeinnützigen Projekten und Einrichtungen weitergeleitet werden, allein Software im Wert von 400 Millionen Euro. Das jetzige Ziel ist in weniger als 20 Jahren die zweite Milliarde unter den 75.000 gemeinnützigen Unternehmen, mit denen das „Haus des Stiftens“ in Verbindung steht, zu verteilen.

Für den Vater von sechs Kindern sind Kinder der größte Schatz einer Gesellschaft. In seinen Worten: „Kinder sind unschuldig, ehrlich und sie unterdrücken ihre Gefühle nicht“. Den Worten folgen Werke: (s)ein Kinderheim in Tschechien, die Trägerschaft für Kindergärten in Nürnberg. Großes Echo erhielt die 2010 eingerichtete Stadtteilpatenschaft. Von ihr werden Kinder und Jugendliche im Brennpunkt Nürnberg-Gostenhof unterstützt. Zum Programm gehören Bildungstage, Lernförderungen, Exkursionen, Bolzplätze, Elternkurse, Straßenfeste und anderes mehr. Ihm geht es ganz und gar darum, Impulse zu setzen, Anregungen zu geben. In der mangelnden Kommunikation in den Familien und der medialen Verseuchung sieht Alexander Brochier eine große Gefahr für die Gemeinschaft. Darum liegt ihm viel daran, Kinder aus dem Virtuellen wieder ins Hier und Miteinander zu führen. Neben Sachleistungen und Geld fordert eine derartige Patenschaft persönlichen Einsatz und Präsenz. Es gelang, weitere fünf Paten für Kieze seiner Heimatstadt Nürnberg zu begeistern. Begeisterung ist überhaupt ein Markenzeichen von Alexander Brochier. Mit ihr lassen sich langfristige Ziele, wie „kein Kind ohne Schulabschluss“ in seinem Paten-Stadtteil durchhalten.

In ihm vereinen sich das Unternehmerisch-tätig sein und das sich gesellschaftlich Engagieren. In der Konzeption der „Haus des Stiftens gGmbH“ mit Sitz in München wird es augenscheinlich. Die Einrichtung ist dazu bestimmt, kostengünstige, professionelle Hilfen für Stifter anzubieten. In der Zwischenzeit wurde der Zweck erweitert auf „Förderung bürgerlichen Engagements“ nach dem Grundsatz ‚Hilfe zur Selbsthilfe‘. Fach- und Führungskräfte geben Wissen und Erfahrung an haupt- oder ehrenamtlich Tätige in Vereinen und anderen Non-Profit-Organisationen weiter.

Ehrung als Ansporn

Anlässlich der Verleihung des Deutschen Stifterpreises 2006 bekannte Alexander Brochier: „In einer starken Kultur des Gebens besteht eine große Chance für die nachhaltige Lösung gesellschaftlicher Aufgaben.“ 2018 erhielt er den Ehrenpreis für außergewöhnliches soziales Engagement im Rahmen der EY-Veranstaltung „Entrepreneur Of The Year 2018“.

Bei all den roten Teppichen, über die er schritt, ist er auf dem „Teppich geblieben“. Jedem, den er trifft, begegnet er auf Augenhöhe; das ist seine Haltung. Wenig bekannt ist, dass er zu den größten privaten Spendern für gemeinnützige Zwecke in Deutschland zählt. Auch wenn er vor fünf Jahren die Leitung der Brochier Holding abgegeben hat, trifft man den 71Jährigen fast täglich im Büro – als einen der Ersten. Dort denkt er über neue Projekte nach getreu seinem Motto: „Du wirst nur durch das, was du für andere tust, etwas wert.“