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Managerismus
Denkschrift Nr. 49
27.06.2022

Managementkulturen - Konsequenzen für die Unternehmensführung

von Manfred Hoefle

 

 

Ende der 1960er-Jahre stellte der britische Wissenschaftler und Schriftsteller C. P. Snow seine These von „The Two Cultures“ auf. Nach dieser entfernten sich die Natur- und Geisteswissenschaften, die einstmals den gemeinsamen intellektuellen Kern der westlichen Gesellschaft bildeten, voneinander, was zu einem Hindernis für die Lösung großer Probleme wurde. Die Geisteswissenschaften entfremdeten sich von den Naturwissenschaften und diese vereinzelten sich.

Gibt es eine Parallele dazu im Bereich der Wirtschaft bzw. Unternehmensführung? Natürlich keine gleichartige und -wertige, aber es bietet sich die Möglichkeit der Unterscheidung von Kulturen in der Führung von Unternehmen. Das ist einmal die von Business Managern bzw. Manageristen geprägte, im Folgenden vereinfacht „MBA“ (Master of Business Administration) /BWL genannte Kultur und dann diejenige, die Ingenieure, Informatiker und Naturwissenschaftler repräsentieren, kurz „Technik-geprägt“ bezeichnet. Um dem erwartbaren Einwand Rechnung zu tragen, dass dies eine unzulässige Vereinfachung sei, ist anzumerken, dass es eine Vielfalt von Managementkulturen/-richtungen-/ -stilen gibt: v. a. nach Wirtschaftsräumen, Unternehmensgröße und Eigentumsverhältnissen. Und die Mischform des Techniker-CEO mit ergänzender MBA-Ausbildung, kommt nicht mehr selten vor. In der folgenden Gegenüberstellung geht es um die Hervorhebung stark unterschiedlicher Grundmuster, die zugegeben idealtypisch sind.

Managementkulturen

   MBA-geprägt Technik-geprägt
Schwerpunkt Gewinn/Kosten
Kapitalisierung/Kurspflege
Produkt/Leistung
Ansatz Abschöpfung
Finanzialisierung 1
Wertschöpfung
Zeithorizont kurzfristig langfristig
Stoßrichtung

Effizienz, Ressourcen
Transaktion/Prozesse
Innovation, Produkt-/Transaktion/Prozesse
Kernfunktionen Strategie, Marketing, Vertrieb, Finanzen, Compliance, Controlling F&E, Qualitätssicherung, Fertigung, Service
Praktiken Maximizing, Leveraging, Controlling Engineering, Qualität,Simulation
Branchenpräferenz Diversifizierte Groß-Unternehmen (börsennot.), Logistik, Abwicklung, Finance (IB, PE, HF, Trading)2, Internet-Plattformökonomien, Parabusiness  Tech-Unternehmen, 
Produzierendes Gewerbe
Mitarbeiter Ressource Unternehmenskapital
Einstellung Ich-bezogen Teamplayer
Motivation außengeleitet,
Eigennutz-zentriert
innengeleitet
Studium Kursniveau tief angelegt

Die angeführten Unterschiede der beiden Kulturen sollen zur Erweiterung und Vertiefung anregen.

Ergänzend ist festzustellen, dass MBAs, vor allem Quereinsteiger und „Top-Talents“, sich bevorzugt mit Strategien, Deals und Cultural Change beschäftigen und stets den großen Impact im Blick haben. Der eklatante Misserfolg von General Electric (GE) mit dem Industrial Internet ist ein hervorstechendes Beispiel dafür. „We are going to play big“ versprach der MBA-CEO Jeffrey Immelt - und dass GE mit all seiner Power und seinen starken Partnern „is playing to win.”4 Das waren große Worte nachdem unter seiner Führung - und auch schon davor - die Entwicklung des Geschäfts zur Digitalisierung hin verschlafen wurde.

Techniker, vor allem die, die in der Entwicklung aufgestiegen sind, sind Teamplayer und sie kennen die Rückschlagpotentiale bei großen Neuerungen. Daraus wächst ein Selbstvertrauen, das auf Erfahrung beruht und ein Problembewusstsein, das Verlässlichkeit und Perfektion zum Maßstab hat. Technik-getriebene Unternehmen konzentrieren sich meistens auf wenige Produkte. Für sie geht es um Innovationsführerschaft. Ein Beispiel ist das Chip-Unternehmen Qualcomm, das so gesehen werden will: “… is based on the idea that we will try to be innovative to look for an idea that could make a significant difference”. Techniker sind in der Regel bescheidener, was wohl auch mit dem anspruchsvolleren Studium zusammenhängt. Erwähnenswert ist, dass die vielen kleinen Weltmarktführer, die ‘Hidden Champions’, von denen der deutschsprachige Raum reich begütertt ist, zum überwiegenden Teil eine Technik-geprägte Kultur haben. Das trifft auch für Stiftungsunternehmen wie Bosch und Zeiss zu.

Zunehmend MBA-dominierte Branchen

Nach den 1980er-Jahren kam es zu einer starken Zunahme des MBA-Modells zuerst in den USA und danach in vielen Industrieländern, auch in China und Indien. Ein wichtiger Grund dafür waren die vielen Absolventen von Business Schulen und die Teilnehmer an deren Executive Management-Kursen. Dort werden sie mit einschlägigen Managementkonzepten ausgestattet; namentlich Portfolio-Management, Shareholder Value-Ansatz, Reengineering-Methoden, die in einem engen Zusammenhang mit der starken Aufwertung des Kapitalmarktes stehen. Die Reglementierung im Nachgang zur Finanzkrise (Stichwort Sarbanes-Oxley) tat ein Übriges, das Management von Unternehmen zu formalisieren, Compliance und Controlling auszudehnen. Immer wichtiger wurde Structured Finance in Form von Buy-outs und M&A als Wachstumsstrategie und Weg zur Vermachtung von Branchen. Schließlich begünstigte das Internet die Transaktion - im Unterschied zur Wertschöpfung der ‚realen Welt‘ – die MBA-Richtung. Da geht es mehr um smarte Methoden des Upscaling, um die Steigerung von Abhängigkeit über raffinierte Preismodelle und aggressive Werbung. Den größten Einfluss hatte jedoch der Kapitalmarkt, der den Zeithorizont des Managements gemeinhin auf Quartale verkürzte.

Das Idol des MBA-Konzerns war bis 2018 GE. Deren Praktiken wurden auf Copy & Paste-Art von vielen Unternehmen übernommen und von Beratern wie Erfolgsprodukte vermarktet: Portfoliomanagement, General Management-Modell, Strategie der Marktdominanz, Outsourcing, M&A-Vorgehen, Performance Management.5  Alle diese MBA-Konzepte haben sich nach dem finanziellen Absturz von 2018 von GE „erledigt“. Unternehmen, die GE nachahmten, Westinghouse und Tyco, waren schon vorher gescheitert. Für MBAs typisch ist ein ausgeprägtes Nachahmungsverhalten, der Herdentrieb, der Berater zu viel Geschäft und Gurus zu vorübergehendem Ruhm verhalf. Eigentlich sollten an Moden erinnernden Entwicklungen Anlass sein, skeptisch zu werden. 6

Das Zusammenwirken von Business Schools, Consulting-Firmen, des Para-Business, der Kapitalmarktakteure, insbesondere von Private Equity, und von Business Media hat die MBA-Kultur vor allem in der angelsächsischen Welt favorisiert.7 Dabei handelt es sich um einen eng verzahnten Managementkomplex unter dem Diktat der Kurzfristigkeit und des Wachstums. Von der Kapitalmarkt-/ Investorenseite werden CEOs der MBA-Richtung bevorzugt, weil sie die gleiche Sprache sprechen und „gleich ticken“. Kapitalmarktverständnis und -kommunikation, dazu das Image wurden die entscheidenden Kriterien für die Auswahl von CEOs. Der Überschuss an MBAs in den USA trägt dazu bei, dass sie nicht nur in großer Zahl, sondern auch mit Wucht - in Ermangelung an wertschöpfenden Fachaufgaben – in Managementpositionen drängen. Weil Techniker in ihren Aufgaben nicht ersetzbar sind und es obendrein einen Mangel gibt, werden sie zu selten auf Führungsfunktionen befördert.

Ein Phänomen, das kaum mit MBAs in Verbindung gebracht wird, ist die fortgeschrittene Finanzialisierung und Monetarisierung der Wirtschaft bzw. von Großunternehmen. Eine Facette davon ist, dass Gewinne zu einem hohen Anteil nicht ausgeschüttet, auch nicht in das Geschäft investiert, sondern als Kapitalanlage gemanaged werden. Die erzielte Rendite beträgt im Durchschnitt ein Mehrfaches des Gewinns aus dem operativen Geschäft. MBA-CEOs haben sich die Politik des „billigen“ Geldes zunutze gemacht und Unternehmen in Richtung ‚Financial Firm‘ weiterentwickelt. Herausragendes Beispiel ist Apple mit einer Cash-Reserve (1. HJ. 2022) von über 250 Mrd. USD. In jüngster Vergangenheit sind Aktienrückkäufe zum Zwecke der Kurssteigerung in die Höhe geschossen.8 Diese MBA-Praxis dient bekanntlich der Kurspflege. Sie ist in Verbindung zu den Stock-options (Bezugsrechten) zu sehen, die einen überwiegenden Teil der CEO-Vergütung ausmachen. Die sogenannten Buyback-Programme sind als eine smarte Variante der Selbstprivilegierung einzustufen.

Lehrreiches aus MBA-Desastern

Ein bekannter Ratschlag von Bismarck war: „ ..aus den Fehlern anderer zu lernen, um eigene Fehler zu vermeiden.“ Demgemäß empfiehlt es sich, in die jüngere Vergangenheit renommierter US-Unternehmen zu schauen, in denen es bei der Besetzung der CEO-Funktion zu groben Fehlentscheidungen kam und den entsprechenden Ursachen nachzugehen, was ihnen gemeinsam ist.

Deutsche Fälle wurden zum Teil unter www. Managerismus behandelt:
Mannesmann mit Klaus Esser, Hoechst mit Jürgen Dormann, Siemens mit Klaus Kleinfeld und Peter Löscher, Bertelsmann mit Thomas Middelhoff, ENBW mit Utz Claassen, Arcandor/Telekom mit Karl-Gerhard Eick.

Im Folgenden werden sechs prominente MBA-CEOs charakterisiert.9 Die kurze anekdotische Form soll die systemische und charakterliche Seite des manageristischen Verhaltens verdeutlichen.

Ein General Manager übernimmt.

Boeing: James W. McNerney (2005-2015) 10

Nach Abschluss mit einem MBA der Harvard University war die erste Anstellung bei P&G im Brand Management, worauf sich vier Jahre bei McKinsey anschlossen. In seinen18 Jahren bei GE hatte er fünf Top-Managementfunktionen inne, war zuletzt Aspirant auf die Nachfolge von Jack Welch. Dann kam es zu einem Vier-Jahre-Turnus als CEO von 3M, einem breit diversifizierten Industriekonzern. Bezeichnend für seinen Managementstil war die Order: „Driving costs down in order to drive margins up.” Innovative Impulse blieben aus.

McNerney wurde erster CEO von Boeing, ohne „Aviation background“. Kennzeichnend für seine Führung des Luftfahrtunternehmens war die Entscheidung zu einem „Lift up“ der 737 zur 737MAX anstelle einer fälligen Neuentwicklung. Die cutting the corner genannte Taktik, nämlich zu Lasten der Sicherheit billigeren Lösungen den Vorzug zu geben, wurde gängige Praxis. Zu seinem Management-Repertoire zählten das Abpressen von Konzessionen von Mitarbeitern/Gewerkschaften, Lieferanten und Steuerbehörden mit dem Verweis auf die Bedrohung vonseiten Airbus und China; weiters die Verlagerung von Montagen nach billigeren Standorten und das unkoordinierte Outsourcing kritischer Software. Branchenkenner warnten, dass Boeing einen hohen Preis für seinen Fehler zahlen werde, die Luftfahrt wie jede andere Branche zu behandeln. McNerney wurde als “Sargnagel” von „what used to be a great company“ gescholten. Nach seinem 10-jährigen Wirken wurde das Desaster mit einem historischen Verlust und zwei abgestürzten 737MAX traurige Wirklichkeit.11

Eine Quereinsteigerin mischt auf.

HP: Carly Fiorina (1998-2005)

Nach einem Bachelor in Arts entschied sie sich für den MBA, erwarb später noch einen Master of Science der MÌT Sloan School of Management dazu. Sie startete mit einem Traineeship bei AT&T und rückte über die vertrieblich Schiene rasch in leitende Funktionen bei dem Spin-off Lucent Technologies auf.

Obwohl sie keine CEO-Erfahrung hatte, wurde sie im Zuge einer verworrenen Goverance-Situation zum CEO von HP bestellt- Sie war die erste Frau der Fortune 20 Companies – und wurde zur “The Most Powerful Woman in American Business” erkoren. Mit der Akquisition von Compaq, dessen Integration erst dem Nachfolger gelang, wurde HP zum weltweit volumenträchtigsten PC-Hersteller. Die Integration gelang erst unter dem Nachfolger. Mit Nachdruck betrieb sie die Ablösung des “The HP-Way”, die traditionsreiche Ingenieurkultur der Unternehmensgründer Hewlett und Packard. Einen Draht zu den Technikern von HP suchte sie nicht, hielt Distanz zur Belegschaft, verzichtete ostentativ auf die Unterstützung des hoch angesehenen Lew Platt, der wegen seiner fehlenden Nähe zur Capital Community angeblich das Nachsehen bei der Vergabe des CEO-Jobs hatte. Einiges Aufsehen erregte die Vergrößerung des Flugzeugparks und die ausgiebige private Nutzung. Die Vergütung summierte sich auf die für HP außerordentliche Höhe von 100 Mio. USD.

Während ihres Managements wurden immer wieder Prognosen kassiert, zum ersten Mal in der Firmengeschichte kam es zu großen Entlassungen, der Börsenwert halbierte sich. Nach verbreiteter Unruhe und Unzufriedenheit wurde Fiorina entlassen und zum „The Worst American/Tech-CEO of All Time“ ernannt. Nach HP wechselte sie das Terrain, wurde Politikerin mit mäßigem Erfolg.

Ein McKinsey-Berater transformiert und ruiniert.

Enron: Jeffrey (Jeff) K. Skilling (1990-2001)

Den MBA erwarb er an der Harvard Business School. Auf die Frage, ob er smart sei, soll er geantwortet haben: „I‘am ‚fucking‘ smart“. Er trat bei McKinsey ein, war Berater im Energy & Chemical Segment, wurde einer der jüngsten Partner in der Geschichte der „Firm“. Skillings vorwärtsdrängende Art beeindruckte CEO/Chairman Kenneth Lay derart, dass er ihn als Leiter von Enron Finance anstellte. Nach seinem fulminanten Aufstieg zum COO galt er als designierter Nachfolger des CEO.

Auf Skillings Betreiben stellte Enron die Rechnungslegung auf die mark to market-Methode um, bei der nicht (konservative) historische Werte zum Ansatz kommen, sondern zukünftig erwartete. Eingeführt wurde die Asset light-Strategie, bei der es darauf ankommt im Wesentlichen ohne große Investitionen hohe Arbitragegewinne zu erzielen, auf die McKinsey eifrig als wegweisende Strategie referenzierte. Enron wurde mehr und mehr in ein Trading-House umgeformt – und avancierte zum „Darling of Wallstreet“.

Berüchtigt war Enron mit seinen Machenschaften zur Verschleierung von Schulden und „toxic assets“ in Form von Special Purpose Vehicles (SPVs). Das Arbeitsklima wurde von “Yank and Rank“, einem extrem wettbewerblichen Verfahren der Auswahl und Förderung (Jeder für sich) bestimmt. Die Sprache war berüchtigt unflätig. Unmittelbar nach seinem kalkulierten Rücktritt wurde Enron für bankrott erklärt. 21 Tausend Mitarbeiter verloren ihren Arbeitsplatz, hunderttausende von Aktionären ihren Einsatz. Skilling war einer der höchstdotierten US-CEOs. Aufgrund von 19 Verurteilungen wegen Betrug, Insiderhandel und Konspiration wurde er zu 24 Jahren Gefängnis verurteilt.

Ein Job-hopper wird CEO.

Intel: Robert (Bob) Swan (2019-2021)

Der MBA-Finanzexperte hat eine Serie von CFO-Jobs vorzuweisen. Nach Auditing-Aufgaben und drei CFO-Positionen bei GE innerhalb von 15 Jahren, übernahm er diese Funktion bei dem damaligen Start-up-Star WebVan, wurde zusätzlich COO vor dem Bankrott des Unternehmens. Es folgten TWR, Northrop Grumman, Electronic Data Systems, HP Enterprise Services, e-Bay (2006-2015), ein zweijähriges Engagement bei der PE-Firma General Atlantic. Er wurde in der „List of America’s Best CFO“ geführt.

Swan wurde 2016 erster ‚outside‘ CFO von Intel, danach COO und Interim CEO, nach überraschendem Ausscheiden des CEO ‚permanent‘ CEO. Der weltweit größte Chiphersteller hatte mit Fertigungsproblemen im Kerngeschäft zu kämpfen, verlor Marktanteile und verfehlte technische Entwicklungen. Der Intel-Board war damals mit einer Ausnahme mit Nicht-Branchen-/ Technologiekennern besetzt. Nach seiner Ablöse kam es zu einem Kurssprung von 7 Prozent. Nun ist er Partner einer großen Venture Capital Gesellschaft. Ersetzt wurde Swan durch den früheren Chefentwickler Pat Gelsinger, der vor seiner Leitung des Software-Herstellers VMware, drei Jahrzehnte bei Intel erfolgreich tätig war, dem angeblich wegen fehlender Mediennähe und Kapitalmarkt-Verbundenheit die CEO-Funktion vorenthalten wurde.

Ein CEO wird autokratisch, selbstsüchtig und megalomanisch.

Pfizer: Henry (Hank) McKinnell (2001-2006)

Nach MBA-Studium in Stanford, Doktorat in Finance und einem Industrie-Job begann eine 32 Jahre dauernde Zugehörigkeit zu dem 1849 gegründeten Unternehmen. Als CEO trat McKinnell mit einer für Pfizer bislang untypischen M&A-Offensive hervor mit gleich zwei Megaübernahmen (Warner Lambert und Pharmacia) nach dem Stock-to-stock-Ansatz. Diese Strategie sollte helfen, die schwächelnde Pipeline aufzufüllen und mit der zugenommenen Marktmacht die Preise anzuheben. Pfizer wurde zum weltweit größten Pharmaunternehmen.
Kinnell’s Führungsstil galt als sehr autokratisch; nicht nur in Fragen des Patentschutzes wurde er als streitsüchtig wahrgenommen. Das Arbeitsklima war alles andere als harmonisch. Unter seiner Regie kam es zu einem Verlust an Innovationskraft, zu Umsatzrückgängen und zu einem Kursverfall von 40 Prozent, was schließlich die Ablöse als CEO zur Folge hatte. Seine Spitzenvergütung und insbesondere das Altersruhepaket von 198 Mio. USD stand in der Kritik, gegen die er sich heftig wehrte.

Ein Bilderbuch-Manager wird zum Abwickler.

GE: Jeffrey (Jeff) R. Immelt (2001-2007)

Vor dem MBA von der Harvard Business School erhielt er den Bachelor (applied mathematics and economics) in Dartmouth. Nach seinem ersten Job bei P&G kam Immelt zu GE in die Plastic Division (Leiter J. Welch), hatte Führungsaufgaben im Appliance- und Healthcare Bereich, war zuletzt dessen Leiter. Als CEO setzte er die M&A-Strategie von Welch fort, mit problematischen Übernahmen vor allem im Finanzbereich und Energiesektor (Alstom) und zahlreichen Verkäufen, zuletzt des gesamten Finanzbereiches und Immobilienbestandes. Die Initiativen „Imagination at Work“, „Ecomagination“ waren nicht nachhaltig. Investitionen und FuE wurden moderat angehoben, Job Rotation als Instrument von Management Development eingeschränkt. Die Software-/Digitalisierungsoffensive und die Venture-Praktiken („FastWorks“) blieben größtenteils wirkungslos. Der späte Turn-around in Richtung Infrastruktur-Unternehmen überzeugte nicht. Der Börsenwert gab in seiner Ära um 30 Prozent nach, während sich der von S&P mehr als verdoppelte.

Immelt sah sich als Innovator, Transformator, Trustee und Statesman. Als Trustee wollte er die Rückbesinnung auf die amerikanischen Wurzeln und als Statesman (und enger Berater des Präsidenten Obama und Leiter des Council on Jobs and Competitiveness für mehr industrielle Jobs in den USA sorgen, die zuvor im Zuge der Verlagerung nach Indien und China vernichtet wurden. Zufällig flog das Geheimnis um das ‚Spare aircraft‘, der Begleitflieger für Business Trips auf. Immelt, der zum „Man of the Year“ und zu „One of the World Best CEO“ Ausgerufene trat, dazu gedrängt, vorzeitig ab. Seine bitteren Erfahrungen gibt er im Buch „Hot Seat: What I Learnt leading a Great American Company“ und als Lecturer in Stanford weiter. Die Absicht, CEO von Uber zu werden, erfüllte sich nicht.

Das Gemeinsame der Desaster

Aus diesen Cases können Grundmuster gefiltert werden. Das ist zuerst der Kanon der MBA-Ausbildung. Im Kern fördert sie die Neigung zu großen Strategien, Transaktionen (M&A), zum Controlling und Financial Engineering, ohne Branchenerfahrung und Unternehmenskenntnis zu berücksichtigen. Dann kommt ein Wesenszug, die Selbstüberschätzung, ins Spiel, jeden „Laden“ managen (Stichwort: General Management) und traditionsreiche Unternehmen in Richtung Kapitalmarkt umdrehen zu können. Die grandiose Formel heißt Transformative Leadership. Wenig Beachtung erfährt die Einsicht, die Belegschaft für eine Neuausrichtung zu gewinnen und mitnehmen zu müssen. Überlegungen, wie der Kapitalmarkt auf Strategien und Maßnahmen reagiert, inwieweit die Investor Logic verstanden und honoriert wird, erhalten dagegen viel Raum. Zu Beginn der Übernahme der CEO-Funktion wird meist mit großen Ankündigungen operiert, mit spektakulären Aktionen, vor allem Großakquisitionen, Entscheidungsfreude und Tatkraft demonstriert. Der Anspruch zum ‚Business Hero‘ aufzusteigen, steht im Raum. Alles in Allem waren sechs gehypten CEOs - und viele mehr im Übermaß „außengeleitet“.

Eine vielbeachtete , immer wieder auf Bestürzung und Verwunderung stoßende Seite ist die CEO-Vergütung. Sie soll Performance gerecht sein, ist aber zu einem hohen Maße manipulierbar – und was für extern rekrutierte CEOs besonders zutrifft, umfänglich verhandelbar, wozu teure Berater auf Firmenkosen behilflich sind. Für den Fall der Abberufung aufgrund von Schlechtleistung winkt ein Ablösepaket, als ob es eine grandiose Leistung zu honorieren gälte. Der Eigennutz in Corporate America, vor allem bei MBA-CEOs scheint keine Grenzen zu kennen. Worum es nicht (so sehr) geht, ist das eigentliche Produkt bzw. die Leistung und die für den gemeinsamen Erfolg unentbehrliche, motivierte Mannschaft. Frank und frei: Es ist purer Managerismus.

Folgen der MBA-Kultur für Wirtschaft und Gesellschaft

Die Business School Konzepte Outsourcing, Kernkompetenz, Preisdominanz, Asset-light, Leveraging, bezwecken die Steigerung der Rendite und der Kapitalisierung des einzelnen Unternehmens. Vor allem das Outsourcing statt Sanierung und Neuausrichtung hat zur Schwächung vieler Branchen und Regionen beigetragen und zu schwer beherrschbaren Abhängigkeiten geführt. Das Ergebnis ist die noch vor nur zwanzig, dreißig Jahren kaum vorstellbare Deindustrialisierung in GBR und den USA. Demgegenüber ist die Rolle Chinas als ‚Factory oft he World‘ auf seine starke Technik(er)-orientierung zurückzuführen.12

Vorreiter und Verursacher der industriellen Aushöhlung sind MBA-CEOs wie der ehemalige “CEO of the Century“, Jack Welch von GE und Bob Swan von Intel, der vor Kurzem noch beabsichtigte, Fertigungsaufträge an die taiwanesische TSMC auszulagern.13 Seitdem Kapitalintensität von Business Schools als Renditekiller ausgemacht wurde, verzichteten immer mehr US-Unternehmen auf den Aufbau eigener Fertigungen und schlossen reihenweise bestehende. In der Chipbranche wurde das „fabless“ Geschäftsmodell Standard. Die jüngsten Krisen (Pandemie, Lieferketten/China, Ukraine) machten die ignorierten Abhängigkeiten unvermittelt bewusst. Mit großem Aufwand und beträchtlichem öffentlichem Geld sollen die Fehler kurzsichtigen Managementerhaltens korrigiert werden. Die Erfahrung mit Rückverlagerungen zeigen jedoch, dass der „Wiederaufbau“ von Produktionen eine anspruchsvolle Langzeittaufgabe – oder anders gesagt ein Generationsproblem ist.

Die Kurzsichtigkeit der MBA-Kultur hat einen immensen Preis. Die Rückbesinnung auf eine ausgewogene Wertschöpfung statt „Gewinnschöpfung“ und ein Mindestmaß an Loyalität ist im Kommen, scheitert aber an hohen kulturellen Hürden, vornehmlich an der Dominanz des Kapitalmarktes und der MBA-Einseitigkeit der Unternehmensführung.

Fazit

Dynamische Unternehmen und Ökonomien setzen auf Technik und Innovation. Das lehrt die Wirtschaftsgeschichte und zeigt der aktuelle Vergleich mit den innovativsten Regionen und Firmen. Gebot ist, die dafür notwendigen Gestaltungsfähigkeiten ausdauernd zu fördern und die Bereitschaft zu stärken, sie umfassend anzuwenden. Für die Unternehmensführung bedeutet dies, Technikern einen angemessenen Stellenwert zu geben und vermehrt „Unternehmer“ an die Spitze zu stellen.

MBA-dominierte Branchen und Ökonomien befinden sich in einem überreifen Zustand. Übermäßige Reglementierung, selbstgeschaffene Komplexität und fortgeschrittene Konzentration sowie die Kapitalmarktfixierung ziehen Innovationsschwäche und nachlassende Produktivität nach sich, führen überdies zu einer chronischen Beeinträchtigung des Gemeinwohls. Kurz: auf lange Sicht schadet die MBA-Kultur allen.

Nach fünfzig Jahren steht eine Wende in der Führung von Unternehmen an: Es braucht eine mehr innovative, wertschöpfende, langfristig ausgerichtete, den gesellschaftlichen Zusammenhalt stützende Wirtschaft und Unternehmensleitungen die diesem Auftrag nachkommen.

 

QUELLEN

Economist, Forbes, Fortune, Harvard Business Review, Wall Street Journal, Wikipedia

VERWANDTES UND VERTIEFENDES

  • Denkschrift Nr. 47: Wunschbild Stakeholder Value – Die notwendige Rückbesinnung auf den eigentlichen Zweck von Unternehmen
  • Denkschrift Nr. 41: Vom Managerismus zurück zu verantwortungsvoller Unternehmensführung
  • Denkschrift Nr. 11: Wie Abschöpfung Unternehmen und Gesellschaft ruiniert
  • Denkschrift Nr. 8: Der industrielle Niedergang der USA – Lehren für Europa: Wie Amerika das Produzieren verlernte

ANMERKUNGEN

1 Darunter fällt das Aufkommen des Shareholder Value zur Unternehmenssteuerung und die Dominanz des Kapitalmarktes.
2 Das sind v. a. Investment Banking, Private Equity, Hedge Fonds.
3 Der Komplex Auditing, Consulting, Executive Services, Legal Business; siehe Denkschrift Nr. 21: Die Wucherung des Parabusiness
4 Man beachte die Sprache der Selbstsicherheit in diesem Interview: https://www.youtube.com/watch?v=OgO4I3_B0Js
5 Die Zahl der US-Unternehmen, die zum Beispiel das Performance Management-Konzept kopiert hatten, wird auf ein Viertel geschätzt. Vor zehn Jahren ist GE selbst davon abgerückt. Zu erwähnen ist noch die von Motorola adaptierte Six-Sigma-Offensive. Siehe dazu Beiträge unter Managerismus, v. a. https://www.managerismus.com/themen/unternehmen-branchen/denkschrift-nr-29
6 Siehe dazu Denkschrift Nr. 27: Management-Gurus – Aufstieg und Fall
7 Dazu kann auch Indien zählen, das eine hohe Anzahl von Business Schools hat. China dagegen weist einen stärkeren Technik-Anteil auf, was zum Teil seine hohe „Manufacturing Capacity“ erklärt.
8 Im Jahr 2021 betrug das Volumen der S&P500 850 Mrd. USD, nach 800 Mrd. USD im Jahr 2020.
9 Auf die Quellen einzelner Aussagen wird angesichts ihrer Vielzahl verzichtet. Die sachgerechte Darstellung lässt sich einfach im Internet nachprüfen.
10 Angaben in der Klammer beziehen sich auf die Zeit als CEO.
11 Siehe Denkschrift Nr. 38-1: Boeing – Ein von der „GE-Kultur“ geprägtes Managementversagen.
12 Der wirtschaftliche Aufschwung Japans, Südkoreas, Taiwans hat ebenso darin seine Wurzel.
13 Mit dem neuen Tech-CEO, Pat Gelsinger, kam eine beispielslose Investitionsoffensive: 17 Mrd. USD für eine Landmark-Fertigung in Ohio und ein 33 Mrd. Euro Programm in Europa, einschließlich einer Mega-Factory in Magdeburg.