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Managerismus
Denkschrift Nr. 50
24.09.2022

Unternehmensbilder und Ordnungspolitik - Was für Unternehmen braucht die Soziale Marktwirtschaft

von Manfred Hoefle

 

 

Ein abstraktes, doch treffendes Unternehmensbild ist das von einem „produktiven sozialen System“ (Hans Ulrich). Eine andere Vorstellung vom Zweck eines Unternehmens stammt von Peter Drucker, nämlich einen Kunden schaffen („to create a customer"). Beide Ansätze verknüpfen drei wesentliche Aspekte: 1. Gemeinschaft, 2. produktiv, 3. für Kunden. Oder anders gesagt: Unternehmen sind für Kunden da; das führt über das Unternehmen hinaus in die Gesellschaft hinein.

Eine vor allem in angelsächsischen Ländern anzutreffende Sicht betont die Rolle von Unternehmen für den Wohlstand (Wealth Creation-Function). Nach dem Shareholder-Prinzip beschränkt sich die Funktion auf die Verzinsung für Geldgeber/Anteilseigner. Nach dem Stakeholder-Prinzip umfasst sie den Kreis derer, die von der Existenz eines Unternehmens direkt „profitieren“ (Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten, Kommunen, Gesellschaft neben Anteilseignern/Aktionären). Von der jeweiligen Ausrichtung und Vorstellung hängt ab, wie Unternehmen behandelt und geführt werden: Ob Kunden, Mitarbeiter, Lieferanten fair oder unfair behandelt, Aktionäre einseitig bevorzugt werden, Manager sich bereichern.

Ein Unternehmensbild ist normativ: Es impliziert, welchen Zweck Unternehmen verfolgen und damit welchen Sinn, sie den Mitarbeitern vermitteln. Darüber hinaus ist das Unternehmensbild politisch und gesellschaftlich bedeutsam, indem es öffentlich macht, wie Unternehmen in die Wirtschaftsordnung eingebunden sind und welche Rolle sie für die Gesellschaft einnehmen wollen.(1)

Zwei grobe Typisierungen

Die folgende Gegenüberstellung ist typisiert, um die Verschiedenheit der Führung von Unternehmen überdeulich zu machen. Die Unterschiede sagen viel über den Zweck, den Charakter und die Verfasstheit von Unternehmen aus.

   Finanzgetrieben Ausgewogen

Orientierung

Ertragsgenerator
Kapital, Kapitalisierung

Kosten
Flexibilität

Funktionale Gemeinschaft
Produkt, Mitarbeiter

Leistung
Innovation, Qualität

Ziel

Dominanz, Gewinnmaximierung

Nachhaltigkeit, Überleben

Menschenbild

Instrumentell, „Ausnutzung“

Entfaltung - menschengerecht

Mitarbeiter/ Arbeit

Verfügungsmasse
Casualization, Gig Economy(2)
Keine bzw. geringe "Investition"

"Aktiva"
Stammbelegschaft
Rel. hoher Weiterbildungsaufwand

Leitung/Management

 Performance Pay

Gehalt und Prämie

Finanzierung

 „Optimiert“ (Leveraging)

Konservativ

Risiko

Kalkuliert

Robust(3)

Unternehmen(4)
(Beispiele)

Amazon, Uber, Gorilla
GE
Großteil der US-Start-ups
Mondelez
Pfizer
Meta/Facebook                                    

Bosch; Zeiss, Mittelstand
Adobe, Bertelsmann
„Hidden Champions“
Mars
Boehringer
SAS Institute

Nachfolgend werden die problematischen Eigenschaften des finanzgetriebenen Modells zusammenfassend stichwortartig aufgeführt. Unter www.managerismus.com sind sie mehrfach erläutert.

Das sind: Hohes Gewicht auf externes Wachstum (M&A), geringe Kapital-(Asset light) und Personalintensität, relativ niedriger Aufwand für Forschung und Entwicklung, Zukauf von Innovationen, Intellectual Property (IP) als Hebel für Rechtsstreit und Marktbeherrschung, Größe als Machtfaktor, v. a. als Preissetzungsmacht, bevorzugte Rolle als Intermediär (geringe Vermögensbindung) oder direkt Branchen beherrschend mit dem Ziel großer Abhängigkeit und hoher Margen, große Bereitschaft zu Standortschließung statt Betriebssanierung unter Einbeziehung der Belegschaft, ständige Bereitschaft zur Verlagerung/Offshoring auch als Mittel zum Lohndruck, Verzicht auf Mitarbeiterbeteiligung für Entscheidungsfindung und Verbesserungen, ausschließliche Top-down-Entscheidungswege/Managementmacht, Orchestrierung globaler Wertschöpfung und starkes global sourcing verbunden mit hoher Arbeitsteilung und hohem Koordinationsaufwand (Lieferketten).(5)

Die Logik dahinter ist bekannt, breiten Kreisen dennoch wenig bewusst: Gewinnmaximierung, hohe Kapitalisierung, wozu offensive, aufwändige Kapitalmarkt-Kommunikation und smarte Kurspflege eingesetzt werden. Wichtigstes Mittel sind die über die letzten 10 Jahre explodierten Aktienrückkaufprogramme, deren größte Nutznießer die Top-Manager sind. Eine immer größere Bedeutung erhielten die Performance Pay-Systeme bzw. die Selbstbedienung des Managements über komplexe Incentivierungssysteme.(6)

Geringe Beachtung erfährt dagegen das Unternehmen als eine auf Dauer angelegte Funktions-gemeinschaft. Die Identität bzw. die Identifizierung mit dem Unternehmen zählt wenig. Motivation erfolgt hauptsächlich über Geld, das aufgrund der Verhandlungsmacht des Managements für das Gros der Belegschaft gering ausfällt. Der Pay Gap zum Management wurde seit den 1980er-Jahren immer größer, das Einkommen schrumpfte zum Teil.

Problematische Entwicklungen haben stark zugenommen

Seit 50 Jahren wurden in Übereinstimmung mit dem Zeithorizont des Kapitalmarktes der Gegenwartsbezug bzw. die rasche Diskontierung der Zukunft immer stärker gewichtet. Eine hohe kurzfristige Verzinsung ist die Triebfeder des Kapitalmarktes; sie steht im Widerspruch zum Prinzip der Langlebigkeit und zu organischem Wachstum.

Finanzgetriebene Konzerne beherrschen die amerikanische Unternehmenslandschaft. Sie profitieren von einem großen einheitlichen Binnenmarkt, der relativ zu Deutschland, dem größten EU-Wirtschaftsland, rund vier Mal so groß ist. Der damit verbundene Größenvorteil wird aggressiv genutzt, vor allem auch zur Expansion nach Europa und weitere Länder. Das amerikanische System des Managements ist auch dank des Sprachvorteils (Englisch als Global Language), der zum Standard gewordenen, populären MBA-Ausbildung, des global tätigen Parabusiness (Banking, Consulting, Lawyers, Executive Services) dominant.(7) Mit 10-20 Jahren Verzögerung ist „The US-Way of Management“ in Westeuropa (im Falle von Großbritannien in wenigen Jahren) vor allem für börsennotierte Großunternehmen zum Standard geworden. Die Liberalisierung insbesondere in Deutschland unter den Regierungen Schröder und Merkel hat die Angleichung börsennotierter Unternehmen an den US-Finanzmarkt befördert. Das Ausmaß an Uniformität lässt sich besonders eindrucksvoll bei der Vorstandsvergütung der Dax-Unternehmen beobachten.(8)

Kurz: Amerikanisierte/amerikanische Kapitalmarkt-Unternehmen verdrängen mit Duldung durch oder zum Teil unter Mithilfe von EU und nationalen Regierungen zusehend den ausgewogenen Typus von Unternehmen.

Problematische Eigenheiten kapitalmarktgetriebener Unternehmen

Die folgende Aufzählung soll ein umfassendes Bild der üblen Erscheinungen und Folgen dieser Art der Unternehmensführung vermitteln. Auf nähere Erläuterungen wird verzichtet; sie finden sich unter www.managerismus.com.

  • Verlagerung der Realwirtschaft zu einer Transaktions- und Distributionswirtschaft verbunden mit Instant fulfillment (z.B. Prime Service von Amazon); Herstellung hauptsächlich in China und Südostasien
  • Vermachtung der Realwirtschaft/Industrie durch Plattformökonomie und Franchise-System
  • Zunahme übergroßer Unternehmen (z.B. Walmart mit rund 2,3 Millionen „Associates“)
  • Zunahme der Branchenkonzentration aufgrund nachlässiger Wettbewerbspolitik. (Beispiele für eine flächendeckende Beherrschung ist der an sich fragmentierte Einzelhandel mit der fortgeschrittenen „Walmartization und Amazonisation“)
  • Bildung vertikaler Monopole(9): Internet-Player; (z.B. Google Marktanteil bei Internet-Suche > 90 Prozent, Facebook mit rund 80 Prozent)(10)
  • Innovationsschwäche (bevorzugt inkrementelle Verbesserungen vergleichbar mit dem häufigen Modellwechsel bei Automobilen in den USA ab den 1970er-Jahren); Versionenpflege, App-Feature-Race(11); hoher Marketing-/Promotionsaufwand
  • weite Akzeptanz und Verbreitung von „sloppy quality“, großzügige Rücknahmepraxis, geplante Obsoleszenz
  • Abwertung beruflicher Tugenden, Aushöhlung des Anspruches an Perfektion und damit Sinnverlust von Arbeit, Degradierung von Arbeit zum Job; hohe Fluktuation, Geringschätzung von Erfahrung
  • Spaltung der Unternehmens-/Betriebsgemeinschaft in „Top & Rest“; Abdriften in eine Plutokratie (Super Rich)

Die schädlichen Auswirkungen der vorhergehenden Eigenheiten lassen sich unschwer ausmalen. Belege sind die industrielle Verödung Großbritanniens und die Deindustrialisierung vieler Regionen in den USA mit den nunmehr offenliegenden verheerenden Folgen für Bürger und Gesellschaft.

Das Spektrum schädlicher Praktiken finanzgetriebener Unternehmen ist breit. Es beginnt mit dem aggressiven Verdrängungswettbewerb(12). Im Zuge des Internets und von Social Media erlangt die hohe Nutzerabhängigkeit, die über raffinierte Wechselhürden erzeugt wird. Die Wahlfreiheit des Kunden wird manipulativ abgeschwächt und sogar mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz weitgehend ausgeschaltet. Der echte Nutzen für den Kunden wird geringer, das (Aus-) Nutzen bzw. die Ausbeutung des Kunden durch „deep customizimg/profiling/personalizing“ gewinnt an Bedeutung. Der Nutzer wird zum Adressaten schwer ausweichbarer Werbung- und Promotion. Die über Suchanfragen und Käufe gewonnenen Kundendaten dienen der Mehrfachvermarktung. Von den großen Internet-Playern werden sie darauf verwendet, mit profunder Kenntnis von Markt und Kunden in die Giga-Themen Gesundheit, Ernährung und Mobilität einzusteigen.

Negative Erscheinungen sind die v.a. im Einzelhandel und in der Logistik bereits verbreitete umfassende Überwachung und Taktung der Mitarbeiter, verbunden mit Fällen von Lohnunterschlagung. Die systematische Verhinderung von Arbeitnehmervertretungen macht den Mitarbeiter zu einem schutzlosen Objekt, macht ihn zum Erfüllungsinstrument. Dem „Mitarbeiter“ wird suggeriert, dass er ersetzt werden soll und auch wird, sobald er sich nicht mehr rechnet. Die ständige Bedrohung hinterlässt nachweislich gesundheitliche Schäden, für die die Arbeitgeber keine Verantwortung übernehmen. Von Mega-Konzernen wie Amazon und Walmart wird der Anschein erweckt, verantwortungsvoller Unternehmensführung und dem Good Citizenship verpflichtet zu sein, was einer Prüfung nicht standhält.(13)

Diese summarische Darstellung ist ein starker Beleg für eine unheilvolle Praxis, die zwar immer wieder punktuelle Kritik hervorruft, aber als Begleiterscheinung einer eigennützigen, konsumistischen Gesellschaftsordnung in Kauf genommen wird.

Übergewicht finanzgetriebener Unternehmen hat viele Ursachen

Unternehmen werden als Investmentobjekte gesehen bzw. als Portfolio von Geschäften. Eine derartige Sicht deckt sich mit dem, was als Financial/ Investor Capitalism bezeichnet wird. Sie entspringt einer Geisteshaltung und Lebenseinstellung, die das Prinzip der Nützlichkeit verabsolutiert und Rücksichtslosigkeit für geschäftliche Tugend hält. Danach bestimmt stets der „Stärkere“ die Regeln. Philanthropische Engagements mögen das eine oder andere Manko dieser Art der Unternehmensführung ausgleichen.(14) Doch die Zahl der Unzufriedenen, „Abgehängten“, Kranken wächst insbesondere in den USA weiter und die Lebenserwartung geht zurück.

Ursachen im Einzelnen

  • Kurzfristigkeit (Short-Termism) ist die bestimmende Perspektive mit dem obligatorischen Quartal-Intervall. In den Wachstumsbereichen Private Equity und Venture Capital wurde der Investitionszyklus immer kürzer.
  • Shareholder Value-Ansatz und Incentivierung als Kern des Managerismus, der im Wesentlichen eine Selbstprivilegierung des Managements ist.
  • Finanzialisierung des Lebens nach dem Prinzip des „Vernutzens“ von allem, was sich nutzen lässt.
  • Moden(15), die von Kapitalmarktvertretern, Business Schools, Beratern und Medien inszeniert werden, denen viele Manager herdentriebmäßig folgen. Beispiel dafür ist der aktuelle Trend zu Pure Plays (hochkonzentrierte, dominante Unternehmen). (16)
  • Activist investors/Turbo Private Equity/Hedge Funds haben unverhältnismäßigen Einfluss auf Unternehmensleitungen (Schatten-Management)(17). Ihr Einfluss wuchs vor allem aufgrund überschüssiger Liquidität und der Niedrigzinspolitik.
  • Pensionsfonds wetteifern um eine hohe Verzinsung und nehmen zunehmend Einfluss auf Unternehmen, in die sie investieren. Das führt dazu, dass zum Beispiel ausländische Unternehmen angehalten werden, Personal abzubauen, um die Pensionsbezüge für Staatsbeamte in Kalifornien(18) anzuheben.
  • Der Einfluss vor allem des angelsächsisch dominierten Parabusiness auf die Unternehmensführung ist über die letzten dreißig Jahre stark gewachsen. Daraus sind quasi-parasitäre Beziehungen entstanden, die diese Gruppe zu Spitzenverdienern macht.(19)
  • Das vor allem in den USA verbreitete Lobbying hat einen enormen Zuwachs erhalten; es favorisiert Großunternehmen bei der gesetzlichen Gestaltung und beim Aus- und Aufweichen von Regulierungen. Wenig beachtet ist die große Lobbying-Aktivität der Big5-Internet-Player in Brüssel und der Großkonzerne; z.B. der Vertreter der Agrarindustrie im Verhältnis zu der von Bauern oder von großen Franchiseunternehmen zu Einzelhändlern.
  • „Outsmarten“ der Wettbewerbsordnung und von Regulierung, insbesondere durch massiven juristischen Einsatz; Taktik des Grenzen-Ausloten bzw. -Überschreiten; Abwägen der Opportunitätskosten.
  • Zunahme von Kontrolle, Compliance und Zertifizierung. Alibi-Initiativen; z.B. Ethik-Lehrstühle/-Kurse(20).
  • Bereitwillige Annahme gesellschaftsideologischer („woker“) Anliegen, v. a. Diversity, Equity & Inclusion (DEI); wohlwollendes Entgegenkommen des Managements mit entsprechenden Stellen/Centers und Programmen.
  • Rollenverständnis des General Managers mit dem Anspruch „alles mit Zahlen“ managen zu können, der aber nicht in der Lage ist, Produkte und Leistungen zu verbessern.
  • Business Heroes mit monomanischen Attitüden als Management-Vorbilder(21)

Die vielen Ursachen lassen sich auf wenige verdichten: eine stark materialistische, individualistische, libertäre, unbescheidene, gegenwartsbezogene Einstellung breiter Kreise der Wirtschaft und Gesellschaft in den USA, zunehmend in Deutschland und Teilen Europas. Die Aufzählung unterstreicht, dass es sich um ein schwer entwirrbares Bündel von Ursachen handelt, das ein solch sozial dysfunktionales Unternehmensbild entstehen hat lassen. Deshalb ist es unabdingbar, Möglichkeiten zu suchen, die Fehlausrichtung zu korrigieren.

Plädoyer für ein ausgewogenes Unternehmensbild

Auf der Suche nach einer befriedigenden Antwort zu einer erwünschten Unternehmenskultur stellt sich die Frage: In welcher Gesellschaft wollen wir leben?

Die negative Antwort darauf ist einfach: Nicht in einer Gesellschaft, die in extrem reich-arm zerfällt, politisch in rechts/links gespalten ist - ohne ausgleichende Mitte; nicht in einer bindungslosen, stark individualistischen Gesellschaft; auch nicht in einer von der Wirtschaft überwältigten Gesellschaft, in einer in der die Grenzen von öffentlich und privat, von Arbeit und Freizeit aufgehoben sind und in der Kriminalität und Suchtverhalten grassieren – schließlich nicht in einer, die die Ausbeutung von Menschen und von Ressourcen duldet.

Die positive Antwort lautet: eine menschenwürdige Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Dazu gehören die Wahrung der Menschenwürde, praktizierte Subsidiarität, gewachsene, überschaubare Strukturen, nachbarschaftliche Bindungen, breites Vertrauen, hohe Integrität, Loyalität, gesunde Arbeits- und Lebensbedingungen und einen funktionierenden Rechtsraum. Zeitlos und grundlegend bleibt die Maßgabe, dass der Mensch Mittelpunkt und Subjekt wirtschaftlichen Tuns zu sein hat.

Bei der vorhergehenden Aufzählung fehlen indes die politisch-gesellschaftlichen Themen Gleichheit, Gender, Diversität, die gegenwärtig zu einem großen Teil die öffentliche Diskussion beherrschen und die Medien beschäftigen, aber den Kern der Unternehmensführung nicht berühren.

Die Antworten leiten zur Frage über: Welches Unternehmensbild ist mit dem erwünschten Gesellschaftsbild nicht vereinbar? Die Antwort ist einfach: keine finanzgetriebenen, manageristischen Unternehmen. Schwierig zu beantworten ist allerdings die Frage, wie der Typus, des ausgewogenen Unternehmens wieder gestärkt werden kann.

Gebotene Wege und Maßnahmen

Viele Ansatzpunkte gibt es und viele Maßnahmen sind notwendig, die notwendige tiefgreifende Änderung herbeizuführen.(22)

Im Einzelnen auf Unternehmen bezogen sind diese:

  • Belohnung von Bindung. Entschleunigung/niedrigere Transaktionsgeschwindigkeit (v. a. Haltedauer von Aktien); Unterbindung des Hochfrequenzhandels; Übergang zu längeren Berichtszeiträumen
  • Gezieltes Zurückfahren der internationalen Arbeitsteilung(23), selektive Erhöhung der Wertschöpfungstiefe, Reduktion von Lieferantenabhängigkeit
  • Aufbau von Robustheit: höhere Sicherheitsbestände, größere finanzielle Reserven, Unterbindung riskanter Structured Finance-Modelle
  • Vermeidung von Monopolen bzw. übermächtiger Unternehmen, Rückführung extrem hoher Branchenkonzentrationen
  • Einschränkung des „Big-Business-Bias“, der impliziten Bevorzugung von Großunternehmen durch (meta-)staatliche Organe (v. a. EU); steuerliche Einflussnahme auf externes Größenwachstum
  • Unterstützung kleinerer Strukturen: Förderung regionaler Cluster; Rekrutierung aus der Region, Einschränkung der Arbeitsmigration, u. a. Ausbau von Fertigungen „vor Ort“
  • Vermeidung weiterer Metropolisierung und damit verbundener Konzentration von Headquarters und Parabusiness (Wallstreet-Phänomen)
  • Bevorzugung regionaler/nationaler Partner; Bildung stabiler Netzwerke, Förderung von Kooperationsmodellen
  • Berücksichtigung der charakterlichen Eignung bei der Auswahl von Führungspersonal
  • Risikokontrolle mehr über Personalauswahl und -führung als über Systeme (Compliance, Controlling, Risk-Managementmethoden)

Auf Gesellschaft und Staat bezogen sind diese:

  • Belohnung von Haftung (Steuervergünstigung für Vollhaftende); Einschränkung von Haftungsvermeidung (z.B. Eigenanteil bei D&O-Versicherung (Manager-Haftpflicht))
  • Antizipative allgemeine Regulierung statt Vielzahl nachträglicher Korrekturmaßnahmen
  • Breite Investition in Aus- und Weiterbildung, abgestimmt zwischen Staat, Branchen, Unternehmen; Bevorzugung handwerklicher, technisch-fachlicher Fähigkeiten(24)
  •  Vereinbarkeit von Familie und Beruf; Wertschätzung der Familie, Förderung der Familiengründung
  • Anprangerung, konsequente Sanktionierung „übergriffiger“ Geschäftspraktiken, öffentlicher Druck auf evil companies(25)
  • Promotion eines gemäßigten Konsums (im Gegensatz zur Discount-Praxis)
  • Vermeidung ethischer Alibi-Maßnahmen: Einrichtung von Ethik-Lehrstühlen, Beauftragungswesen (Gender, Gleichstellung – im Unterschied zu Gleichberechtigung)
  • Privatisierung von Staatsunternehmen(26)

Diese Auflistung vermittelt eine Vorstellung des ungeheuren Ausmaßes an Änderungen, die notwendig sind, um das finanzgetriebene Unternehmensbild abzulösen. Substanzielle Änderungen sind von den Gemeinten/Betroffenen kaum zu erwarten trotz gelegentlich anderer Bekundungen, wie die letzten Jahre die mangelnde Wirkung von Soft Law und Selbstverpflichtungen ausreichend belegt haben.(27)

Stärkung der Sozialen Marktwirtschaft als „neuer-alter Weg“

Der Staat hat die Aufgabe des Rahmengebers und Regelsetzers, einer Aufgabe, der er immer weniger gerecht wird. Interessensgeflechte verhindern, dass Wettbewerbspolitik, Steuergesetzgebung, Standortpolitik/Regionalförderung, Arbeits- und Gewerbeordnung in Übereinstimmung zur Sozialen Marktwirtschaft gebracht werden.

Die Soziale Marktwirtschaft ist eine Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, die auf breite Vermögensbildung und gemäßigte Einkommensentwicklung angelegt ist, die auf sozialen Ausgleich und Zusammenhalt achtet, sich nicht auf anonyme-staatliche Umverteilung verlegt. Sie stützt die Entfaltung von Fähigkeiten und fördert das unternehmerische Engagement vieler und sorgt für eine Dynamik, die auf Freiheit und Eigenleistung beruht; damit ist sie grundsätzlich und langfristig dirigistischen Ordnungen überlegen. Die Soziale Marktwirtschaft ist auf Angemessenheit, das „Rechte Maß“ bedacht, im Gegensatz zur Maximierung im sogenannten Kapitalismus. Für das gute Funktionieren ist sie auf die Tugenden Fleiß, Disziplin, Loyalität, Gemeinsinn angewiesen, die die Marktwirtschaft selbst nicht schaffen, aber pflegen kann und soll.

Kurz: Sie ist subsidiär, dezentral, personenbezogen Ausfluss des christlichen Menschenbildes, gemeinschafts- und gemeinwohlfördernd. Das entspricht den Grundsätzen der Katholischen Soziallehre, die die Soziale Marktwirtschaft in den Anfängen geprägt hat(28).

Eine historische Zwischenbemerkung: Bis in die 1980er Jahre gab es eine große Stimmigkeit in der Ordnungspolitik. Das Wirtschaftsministerium hatte den verdienten Ruf eines ordnungspolitischen Wächters mit anerkannter Kompetenz. In der Folgezeit bewegten sich Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik auf dem Weg zum Sozialstaat hin merklich auseinander. Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung erhielten zunehmend einen opportunistischen/ideologischen Einschlag.

Effizienz gewann Überhand zu Lasten von Bürgernähe, Naturerhalt/Artenvielfalt und kleinteiliger Strukturen(29). Weiters kam es zu einer Unterminierung der Sozialen Marktwirtschaft durch Anleihen bei angelsächsischer Governance (u.a. Deutsche Corporate Governance Kodex) und Compliance – und die Liberalisierung zum Vorteil von DAX-Konzernen und ausländischer Investoren nahm ihren Gang. Der ausländische Aktienbesitz an DAX-30 Unternehmen von über 50 Prozent(30) wurde von Politik und Medien wenig beachtet. Der Anteil der Arbeitnehmer und Steuerbürger in Deutschland ist in einem sehr misslichen Maße am Kapitaleinkommen aus Wertschöpfung beteiligt. Insgesamt ist die Einkommens- und Vermögenssituation durch chronische Lohn- und Mietabhängigkeit gekennzeichnet, die mit der Vorstellung von einer Sozialen Marktwirtschaft schwer vereinbar ist.

Wie stehen die Chancen auf eine Wiederbelebung einer Sozialen Marktwirtschaft? Von vielen Seiten werden Verbesserungen „angedacht“, ein Umbau ist aber nur dann wahrscheinlich, wenn krisenhafte Verhältnisse eintreten. Nach langer, insbesondere jüngerer Erfahrung ist die Demokratie nurmehr in äußerster Krise zu grundlegenden Korrekturen, zu einem Richtungswechsel fähig und bereit. Reformverschleppung bei elementaren Anliegen ist der Dauerzustand. Nicht einmal die Finanzkrise von 2008 brachte überfällige Einschnitte. Mit Corona, Klimawandel, Inflation und Krieg(en) verdüsterte sich das Szenario zwar arg, ob daraus ein gesellschaftlicher Wandel erwächst, ist fraglich.

Zusammenfassend: Fünf richtungsweisende Wege

  1. Kapitalmarktorientierung einschränken.
  2. Wettbewerbspolitik aktivieren, eine vielfältige Unternehmenslandschaft pflegen.
  3. Eigentumskultur und Sozialbindung stärken.
  4. Konsumorientierung abschwächen, bürgerliche Tugenden pflegen.
  5. Dezentralisierung der EU und Föderalisierung in Deutschland; Abbau/Begrenzung von Größe zugunsten von Vielfalt.

Unternehmen sind Teil der Gesellschaft – haben demzufolge gesellschaftliche Verantwortung und müssen zu den Erfordernissen einer gutverträglichen Gesellschaft passen. Unternehmen dürfen keinen Schaden anrichten, nicht das Risiko unmäßig erhöhen, Wohlstand vernichten, das Gemeinwohl schwächen, Gemeinschaft zersetzen und wenige zu Gewinnern („The Winner Takes It All“) machen. Habgier, Hedonismus, Gewinnsucht korrumpieren Wirtschaft und Gesellschaft. Garanten des Gemeinwohls sind Gemeinsinn, verantwortungsvolle Unternehmensführung und Innovation.

ES BRAUCHT WIEDER EINE ORDNUNGSPOLITIK DER SOZIALEN MARKTWIRTSCHAFT VERBUNDEN MIT DER AUFWERTUNG VON UNTERNEHMEN MIT AUSGEWOGENER UNTERNEHMENSFÜHRUNG.

 

QUELLEN UND VERTIEFENDES

  • Wilhelm Röpke (1937): Die Lehre von der Wirtschaft, Haupt (1994); (Civitas Humana – Grundfragen der Gesellschafts- und Wirtschaftsreform (1944 Haupt 1979)
  • Paul Collier (2019): Sozialer Kapitalismus! Mein Manifest gegen den Zerfall unserer Gesellschaft, Siedler
  • Paul Collier & John Kay (2020): Das Ende der Gier, Siedler
  • Nils Goldschmidt und Michael Wohlgemuth, Hrsg. (2004): Die Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft, Mohr-Siebeck
  • Rana Foroohar (2016): Makers & Takers – The Rise of Finance and the Fall of American Business, Crown Publishing
  • Manfred J. Hoefle (2010): Managerismus, Wiley; (www.managerismus.com)
  • Kenneth and William Hopper (2007): The Puritan Gift, I.B.Tauris
  • Christian Müller, Elmar Nass, Johannes Zabel Hrsg. (2020): Soziale Marktwirtschaft – Ordnung der Zukunft, Aschendorff
  • Robert B. Reich (2016): Rettet den Kapitalismus, Campus
  • Martin Sandbu (2020): Economics of Belonging, Princeton University Press
  • Michael J. Sandel (2020): Vom Ende des Gemeinwohls, S. Fischer
    Michael J. Sandel (2012): Was man für Geld nicht kaufen kann – die moralischen Grenzen des Marktes, Ullstein

 

ANMERKUNGEN

(1) Vergleich mit dem Menschenbild, das sich auf die Behandlung des Menschen als Mitarbeiter, Partner, Bürger u. a. m. auswirkt. Ein anderer Bezug ist die Modellvorstellung des homo oeconomicus/ oecologicus, der eigentlich nur ein analytisches Konstrukt ist, jedoch durchaus normative Wirkung erreicht.
(2) Unter Gig-Economy bzw. Work Force-Casualization wird der Trend zu kurzfristigen, schwach geregelten, sofort kündbaren Arbeitsverhältnissen verstanden, wie sie beispielweise von Uber oder Gorilla angewendet werden.
(3) Robustheit ist ein proaktiver Ansatz zur Risikovorsorge. Wichtig dabei sind technisch gesprochen die Eigenschaften bzw. Maßnahmen: Überdimensionieren, Einfachheit, Ausprobieren, Rückgriff auf Bewährtes, Lernen mit Erfahrung, Pflege des kollektiven Gedächtnisses (v.a. bei Misserfolgen), Dokumentation von Fehlern.
(4) Zu diesen Unternehmen* finden sich unter www.managerismus.com/managerism.org eingehende Charakterisierungen.
(5) Ein häufig zitiertes Beispiel ist die „Jeans-Journey“ mit bis zu 15 global verteilten Fertigungsschritten und Herstellungsorten.
(6) Siehe dazu ein „alter“ Beitrag: Denkschrift Nr. 10 (2013): Vorstandsvergütung - so kann es nicht weitergehen
(7) Siehe dazu: https://www.managerismus.com/themen/parabusiness/denkschrift-nr-23
(8) Die Vergütungsmodelle wurden fast ausschließlich von US-Executive Service Firmen konzipiert. Der Umfang der komplexen Systeme nimmt im Jahresbericht der Dax30/40 mitunter mehr als 10 Seiten in Anspruch.
(9) Vertikale Monopole zielen auf eine komplette Kontrolle aller Wertschöpfungsstufen entlang von Supply chains (durch Verzicht auf externe Lieferanten, Hersteller, Dienstleister, Distributoren). Amazon ist ein Beispiel dafür. Das verbindende Glied ist die Information über Kunden und Lieferanten, die es z.B. Amazon ermöglichen, hervorragend laufende Produkte von „eigenen“ Herstellern/Subcontractors zu beziehen und bevorzugt zu vertreiben. Die Bandbreite smarter Benachteiligung anderer Marktteilnehmer ist beängstigend, wird kaum sanktioniert.
(10) Auf Europa bezogen liegt es nicht ferne von einem „Digital-Imperialismus“ zu sprechen.
(11) Dreijahres-Produktzyklus bei IPhones und jährliche Updates.
(12) Häufig in Form eines ruinösen Preiswettbewerbs (Predatory prizing).
(13) Amazon hat sich der Stakeholder-Initiative (‚Promote An Economy That Serves All Americans‘) des Business Round Table (BRT) vom August 2019 angeschlossen, ohne Konsequenzen für Corporate Governance.
(14) Bemerkenswert ist, dass viele Milliardäre der Internetwelt in den USA sich wenig sozial/philanthropisch engagieren – im Unterschied zu den früheren Industriedynastien.
(15) Im Rückblick haben sich die vielen Managementmethoden der letzten 50 Jahre vielfach als Blindleistung erwiesen. Prominentester Exponent ist Tom Peters mit vielsagenden Büchertiteln wie „Thriving on Chaos“, „Der Wow-Effekt“.
(16) Das ist die vor allem vom Parabusiness betriebene Auflösung diversifizierter Unternehmen und die Zusammenschlüsse innerhalb von Branchen.
(17) Mit Beteiligungen von wenigen Prozent in Kombination mit offenen Drohbriefen wird massiver Druck zugunsten ihrer Investmentstrategie ausgeübt.
(18) Das Investitionsverhalten von CalPERS, dem größten amerikanischen Pensionsfonds zeigt mitunter hegemoniale Züge.
(19) Ein besonders stark gewachsener Zweig ist Executive Compensation. Auftraggeber ist meist das Top-Management, das für sich vorteilhafte, komplexe, intransparente Vergütungslösungen erarbeiten lässt.
(20) Die sprunghaft gestiegene Einrichtung von Ethiklehrstühlen hat bis heute offensichtlich keine erkennbare Verbesserung moralischen Handelns im Management gebracht.
(21) Beispiele waren Jack Welch (GE) Carly Fiorina (HP), Maurice Greenberg (AIG), Ed Arzt (P&G). In Deutschland Jürgen Schrempp.
(22) Unter www.managerismus.com sind sie zum Teil bereits behandelt; einige sollen zu einem späteren Zeitpunkt näher ausgeführt werden.
(23) Erst in jüngster Zeit wurde die hohe Abhängigkeit Deutschlands neben Energie bei wichtigen Produkten (v. a. Medikamente, Chips) offenkundig. Ein allmähliches Near-/Re-shoring setzt v. a. bei Halbleiterprodukten ein.
(24) Der hohe Anteil von Lehrenden und Studierenden in Soziologie, Politologie, Gender u. a. zum Wohlstand und zu akademischer Exzellenz ist eine Fehlentwicklung, die Unzufriedenheit schafft.
(25) Uber hielt eigene Geschäftspraktiken für illegal, „belohnte“ Politiker und Wissenschaftler für Einflussnahmen, z. B. im Zusammenhang mit dem Markteintritt in große europäische Märkte. In Australien wies die drittgrößte Glaubensgemeinschaft, The Uniting Church ihre Mitarbeiter an, Uber Services nicht zu nutzen, weil die Geschäftspraktiken Unternehmen nicht mit den Werten der Kirche vereinbar sei. Uber baue auf „Unethical Foundations” auf, betreibe aggressives Lobbying, um seine illegalen Praktiken im Nachhinein zu rechtfertigen, spiele Fahrer gegeneinander aus, unterbiete Mindestgehälter und untergrabe die Arbeitsbedingungen des Taxigewerbes.
(26) Staatsunternehmen geben mit Ausnahme einiger weniger Infrastrukturunternehmen keine gute Referenz für Unternehmensführung ab. Beispiele für passive und korrumpierte Geschäftsführung sind v. a. staatliche Monopole bei Öl und Tabak.
(27) Siehe dazu Denkschrift „Wunschbild Stakeholder Value“: https://www.managerismus.com/themen/managerismus/denkschrift-47
(28) Das sind die Sozialprinzipien Subsidiarität, Solidarität und Gemeinwohl neben dem Universalprinzip Personalität.
(29) In diesem Zusammenhang stehen das Dörfer-Sterben, die Verdrängung der klassischen Landwirtschaft durch die Agrarindustrie, von Klein- und Mittelbetrieben durch Großunternehmen.
(30) Der amerikanische Anteil liegt bei rund 20 Prozent, zu großen Anteilen von den Vermögensverwaltern v.a. Blackrock, Vanguard vertreten.