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Wertschöpfung & Innovation
Denkzettel Nr. 47
25.04.2016

Orwell 4.0? — Digitalisierung - Industrie 4.0 - Internet der Dinge

von Klaus Demleitner

 

 

Angesichts der allgegenwärtigen Euphorie zu diesen Themen könnte man den Eindruck gewinnen, hier werde eine weltweite Wohlstandswelle ausgelöst. Alles wird verbunden, alles kommuniziert mit allem, alles ist allzeit verfügbar, alles optimiert, energiesparend, gesund. Roboter übernehmen die Arbeit – und Algorithmen das Denken? Spätestens hier kann man hellhörig werden: Wohin soll das führen, wem nützt das?

Bei aller Technikbegeisterung und Aufgeschlossenheit gegenüber Neuem ist bei diesem Themenkomplex auch eine kritische, übergeordnete, systemische Sichtweise angebracht. Die aktuelle Betrachtung und Diskussion erfolgt meist nur punktuell. So werden Vor- und Nachteile nicht transparent, weil überwiegend im Trend des Mainstream argumentiert wird und so vordergründig positive Effekte (ein schier unglaublicher Zuwachs an Business and Profit) herausgestellt werden. Zu hinterfragen sind der Kontext und das Zusammenwirken aller Systemelemente auch und besonders im Sinne von Langzeitauswirkungen. Das ist durchaus nicht negativ gemeint, sondern folgt der Erkenntnis, dass eine im Vorfeld und begleitend durchgeführte, umsichtige - nennen wir es - Technikfolgenabschätzung frühzeitig Fehlentwicklungen erkennen hilft und letztlich auch der Akzeptanz von Neuerungen dient. Der Trend zu einem ideologisch geführten Disput (de facto eher Diktat) über Technologien (vgl. Energiewende, E-Mobilität, Ernährung etc.) scheint sich auch hier fortzusetzen. Wo bleiben die Professoren, die ihrem wissenschaftlichen Anspruch (These und Antithese; Abwägen von pro und contra) gerecht werden? Wo sind die Ingenieure und Entscheidungsträger, die verantwortungsvoll mit dem „Machbaren“ umgehen? Die aktuelle Verkürzung der Diskussion ist in weiten Teilen nicht nur unprofessionell, sondern auch naiv und blendet fahrlässig jetzt schon absehbare gefährliche Folgen aus.

Unscharfe Begrifflichkeit verschleiert Tragweite

Was ist eigentlich Digitalisierung? Gemeint ist hier wohl nicht ein Copy Shop, in dem Dokumente eingescannt und damit digital verfügbar bzw. bearbeitbar gemacht werden. Das beschreibt nur einen singulären Aspekt. Hinter den Überschriften verbirgt sich ein viel umfassenderes Konzept, das auf die Vernetzung sämtlicher Wirtschaftssubjekte (Personen) und objekte (Maschinen, Dinge; vgl. Internet of Things) abzielt. Morphologisch gesehen ist das zunächst nichts Neues. Es geht um Kommunikation im Sinne eines Austausches von Daten und Informationen zwischen Sender und Empfänger. Dass hier auf einen digitalen Datenbestand und eine ebensolche Übertragung abgestellt wird, ist schon fast trivial. Tatsächlich neu und damit einer kritischen Auseinandersetzung zu unterwerfen, sind die Dimension und Komplexität der angestrebten Vernetzung. Diese tangiert wegen ihrer qualitativen und quantitativen Amplituden nicht nur Technik und Arbeitsabläufe, sondern hat signifikante Auswirkungen auf unser Rechts- und Gesellschaftssystem und birgt die Gefahr einer verstärkten Konglomeration von Kapital und Macht in sich. „Groß gedacht“ wäre das Ergebnis eine Welt ohne Medienbruch. Aber unsere Welt ist eine analoge; der Mensch ist und bleibt ein analoges Wesen! Als solches stört er im digitalen Gefüge und soll ergo auf den Weg zur perfekten Digitalwelt weitestmöglich eliminiert werden. Das betrifft dann eben nicht mehr nur die „Industrie“, wie es die Überschrift suggeriert, sondern die Gesellschaft in toto.

Digitalisierung und Industrie 4.0 im engeren Sinne – die Potentiale

Ein Ansatz von Industrie 4.0 ist die Verbesserung von Prozessen in der Logistik und Produktion. Hier soll und kann die mittels moderner Datentechnik zunehmende und verbesserte Interkommunikation und Interaktion von Maschinen und Menschen, also Elementen in der Wertschöpfungskette, eine Steigerung von Effizienz bewirken. Zudem können Optimierungen im Betrieb erreicht werden, was die Themen Wartung und Service anbelangt. Hier sind oft noch fehlende Informationen oder Kommunikationsbrüche die Ursache für Fehler oder Verzögerungen. Im Idealfall wird das bedarfsgesteuert und flankiert durch eine kritische Betrachtung entwickelt, implementiert und mit den betroffenen Organisationsmitgliedern kommuniziert.

Solche Lösungen implizieren einen erhöhten Grad der Vernetzung. Wie aus der Systemtechnik bekannt, steigen dadurch die Komplexität und letztlich die Fehleranfälligkeit exponentiell. Es ist also besondere Sorgfalt gefordert. Gerade hier prallen mitunter Welten aufeinander. Zum einen die der Hardware, also Maschinen, Systemsteuerung und Regelungstechnik; hier wird klassisch auf Sicherheit bedacht und konservativ programmiert. Dem steht die Programmierphilosophie der Social Media, Apps und Games gegenüber. Überspitzt formuliert dominiert hier der schnelle Effekt, die Innovation um ihrer selbst willen. Qualität wird durch Debugging und neue Releases sukzessive nachgereicht – in der virtuellen Welt kein Problem. Die sinnvolle Verbindung beider Ansätze ist eine qualitätstechnische Herausforderung. Mit entsprechendem Aufwand für Investitionen in Hardware, Software und zugehöriges Consulting lassen sich sicherlich Fortschritte in diesem Sinn erzielen. Hierin (bei Hard- und Softwarelieferanten und Beratern) liegt ein großer Teil des prognostizierten Wachstums begründet.

Einfachheit und verteilte Systeme zeichnen sich durch ihre Robustheit aus. Eine Entkoppelung bewirkt, dass schädliche Einflüsse nicht das Gesamtsystem gefährden. Diese Philosophie wird mit Industrie 4.0 zumindest partiell aufgegeben. Einhergehend mit zunehmender Vernetzung und damit verbundener Öffnung von Systemen steigen die Risiken durch interne Ausfälle oder externe Störquellen. Symmetrisch zu obigen Investitionen sind also zusätzlich entsprechende Sicherheitsarchitekturen aufzubauen. Das bedeutet weitere Investitionen in Hardware, Software und passendes Consulting; ein weiterer Wachstumsschub. Das muß mit Weitblick und Augenmaß entschieden werden; denn letztlich stellt sich die Frage, wer hier in welchem Umfang profitiert; der produzierende Unternehmer oder die Verfechter der Digitalisierung.

Bei diesem enormen Zuwachs an Traffic stellt sich die Frage, ob vorhandene Netzinfrastrukturen diesen noch bewältigen können. Wer finanziert den Ausbau – oder wird der Zugang limitiert bzw. über Preise gesteuert?

Digitalisierung und Industrie 4.0 – Verschiebung von Kontrollsphären

Abstrakt formuliert, werden die virtuelle (IT-) Welt und die an Waren orientierte reale Welt mehr und mehr integriert. Polemisch könnte man sagen, dass die Zockereien aus der Bankenwelt (Fast Trade, Zinsmanipulationen etc.) mit den bekannten Folgen auf weite Teile der sog. Realwirtschaft schon einen kleinen Vorgeschmack auf die Welt 4.0 gegeben haben.

Industrie 4.0 wird oft als Analogon zur industriellen Revolution bezeichnet. Man kann es auch als outsourcing einer neuer Kategorie, einer neuen Dimension betrachten. Es werden ganze Wertschöpfungsketten plus deren Organisation in fremde Hände gelegt. Das erfolgt nicht mehr nur kostengetrieben (Controlling), sondern zusätzlich einfluss- und machtgetrieben. Von Qualität ist in diesem Kontext keine Rede, nur noch von Mehrgeschäft. Ausgelagert und damit aufgegeben wird damit letztlich auch unternehmerische Eigenständigkeit; es entstehen Abhängigkeiten und multiple Risiken. Der Unternehmer wird zum Getriebenen einer selbsternannten Digitalisierungselite.

Treibende Kraft hinter den neuen Geschäftsmodellen sind – nennen wir sie - Intermediäre. Exemplarisch können das Suchmaschinenbetreiber oder Konzerne wie Amazon sein. Sie nutzen oder verfügen selber über datenbasierte Analysedienste und einen „Schatz“ an Informationen. Dieser Datenfundus wird permanent mit jeder Transaktion erweitert (erzwungener Transfer) und stellt gewissermaßen die Machtbasis solcher Unternehmen dar. Herstellerunabhängig und ohne eigene Investitionen in Produktionsmittel vermitteln sie Produkte oder Leistungen und garnieren diese mit Services. Mittels Algorithmen, die auf die aus dem Netz generierten Daten von z.B. vernetzten Produktionsanlagen zugreifen, werden dann Prozessoptimierungen oder gar die gesamte Prozesssteuerung angeboten. Damit verschiebt sich die Kontrollhoheit über weite Teile der Wertschöpfungskette, v.a. auch über Märkte und Kunden, mehr und mehr zu diesen Intermediären. Die Produktionsunternehmer werden zunehmend in die Rolle von Zulieferern abgedrängt.

Sollen und werden die o.g. Vernetzungen von Maschinen und Organisationen über ein vernünftiges Maß hinaus getrieben, verschiebt sich nicht nur die Kontrollhoheit. Wenn im Endausbau von Industrie 4.0 die eigentliche Kernleistung zur Residualgröße verkommt, stellen wertschöpfende Unternehmen (und erst recht deren Mitarbeiter) nur noch ein notwendiges Übel dar, Elemente in einer von Prozess-SW gesteuerten Kette. Was, wie und in welcher Qualität gehandelt wird, ist den Intermediären letztlich egal; sie verdienen an jeglicher Transaktion und bestimmen dafür auch noch die Regeln. Abgeschöpft wird künftig auf der Metaebene, die selber keinen signifikanten Mehrwert/ Nutzen erbringt.

Digitalisierung im weiteren Sinne – Asymmetrisch und manipulativ

Ziel der Internetindustrie ist immer ein hoch skalierbares Geschäftsmodell. Besonders Standardprodukte lassen sich in Standardprozessen automatisieren/ programmieren. Daher ist auch die Freisetzung vieler Arbeiter/ Arbeitskräfte mit geringer bis mittlerer Qualifikation zu befürchten, was die Verarmung ganzer Bevölkerungsschichten zur Folge haben kann; übrigens auch deren Kaufkraftschwund!. Es wird auch zu einer Reduktion der Vielfalt kommen. Das Argument einer nunmehr möglichen Losgröße 1 verfängt nicht. Denn auch hier stecken Economies of Scale dahinter; es werden lediglich Standardprodukte mithilfe erweiterter logistischer Möglichkeiten nunmehr in unterschiedlichen Losgrößen (auch 1) gefertigt und ggf. innerhalb eines Baukastensystems konfiguriert.

Bereits heute werden z.B. auf dem virtuellen Buchmarkt durch click center (in Indien oder Bangladesch) vermeintliche Hitlisten manipuliert, um Kaufinteresse auf wenige hochvolumige Produkte zu fokussieren; und das ist erst der Einstieg in die Manipulationsmaschinerie. Das ist ein Weg in die sog. One-per-cent-Economy. Schon jetzt erleben wir exemplarisch im Kulturmarkt eine Welt der (Super-)Stars. Es gibt im Bereich der populären Musik und Literatur einige wenige, die gewissermaßen auf die Hitlistenplätze abonniert sind - Scale ist Trumpf! Der Rest fristet ein eher beschauliches Dasein und muß froh (?) sein, wenn sein Produkt kostenlos gelistet wird. Ob man wieder sozialistische Einheitsprodukte erleben wird, wird sich zeigen. Die beschworene Offensive zu mehr Vielfalt im Sinne eines besonderen Eingehens auf die Wünsche und Bedürfnisse des einzelnen Kunden ist wohl eher Phantasie.

Zunehmend ist eine sich verstärkende Asymmetrie von Leistung und Gegenleistung zu beobachten. Das führt zu einem Ende der Wertschätzung. Kernleistung ist nur noch Mittel zum Zweck. Es wird nicht mehr Ware gegen Geld gehandelt, sondern Ware gegen Geld und Preisgabe persönlicher Daten, Aufgabe der Identität, Bereitschaft zur Existenz als Manipulationsobjekt. Das vermeintlich „billiger“ geht auf Kosten der wertschöpfenden Personen und auch zulasten der Kunden, die neben dem Preis für die Ware noch ihre Daten ein- und damit preisgeben!

Bereits heute ist der massenhafte Diebstahl von Leistungen und deren Veräußerung über Plattformen zu registrieren. Besonders betroffen sind Urheberrechte von Autoren, Komponisten und Musikern. Ein spezielles Exemplar solchen Geschäftsgebarens in Form von Piraterie stellt ein (gebundenes!) Buch dar, das ausschließlich aus Wikipedia-Artikeln besteht. Eine Entlohnung der Urheber findet nicht statt; der Verleger takes it all.

Das Machbare wird gemacht – Geschäfte ohne Limit

Die globale Digitalisierungsoffensive spart keinen Bereich des wirtschaftlichen und privaten Lebens aus. Mit der zunehmenden Autonomie von Systemen sinkt gleichzeitig die Autonomie des Menschen. So auch beim derzeit visionär angepriesenen sog. autonomen Fahren. Was bei körperlicher Behinderung oder geistiger Einschränkung in definierten Grenzen durchaus noch als sinnvolles Substitut zum bekannten Chauffieren anzusehen ist, führt beim Normalverbraucher zum Entlernen von Fähigkeiten und zu einer wachsenden Entmündigung. So ist der Weg in die Fremdbestimmtheit vorgezeichnet.

Auch beim autonomen Fahren werden die o.g. Intermediäre den Ton angeben und nicht die Automobilhersteller. Sie organisieren die Kommunikation zwischen den sich bewegenden Objekten, sammeln und halten zentrale Daten vor. Der Fokus liegt derzeit anscheinend ausschließlich auf technischen Fragestellungen und Gimmicks. Völlig ungeklärt bzw. überhaupt noch nicht in der Diskussion sind sich zwangsläufig ergebende Fragen der Verantwortung von Halter, Hersteller oder Intermediär, sowohl zivil- als auch strafrechtlich.

Neben autonomem Fahren sind die Medizin und das Thema Wohnen und Gebäude weitere Bereiche, in denen Bestrebungen zur Digitalisierung laufen. Hinzu kommen der schon bekannte Internethandel und natürlich sämtliche Zahlungsverkehre. In Verbindung mit letzterem versteht man auch die Intention der Diskussion zur Abschaffung von Bargeld.

Was das Thema Medizin anbelangt, arbeitet die Alphabet Inc. intensiv an einer Vernetzung sämtlicher Player: Ärzte, Kliniken, Pharmaindustrie, Apotheken, Versicherungen und natürlich den Patienten. Letzterer liefert im besten Fall seinen genetischen Abdruck und unterwirft sich einer permanenten Überwachung durch allerlei Apps und Geräte (Uhr, Kfz, Cellphone etc.). Dass alle über ihn verfügbaren Daten im System gespeichert sind und verarbeitet werden, hat er zu tolerieren. Als Gegenleistung wird er dann in passende Tarife eingestuft, erhält zunehmend verbindliche Tipps zu Ernährung und Verhalten und ggf. eine individuelle Medikation. Das Inkasso übernimmt die Buchungssoftware. So wird der Patient zum Objekt. Der Mensch wird bewirtschaftet. Es wird über uns verfügt; wir sind Ware im Global Business. Wollen wir das?

Als weiteres Beispiel sei Google smart home erwähnt. Hinter diesem verniedlichenden Namen verbirgt sich perspektivisch eine Neuordnung von Property Rights. Ein mit Sensoren, Aktuatoren, Regelungssoftware, Überwachungselektronik und einer kompletten Vernetzung aller Haushaltsgeräte und der Haustechnik ausgestattetes Haus erreicht eine bis dato in Gebäuden nie dagewesene Komplexität. Zudem hängt das Gebäude in einem Netzwerk von Ver- und Entsorgern. Das führt gleichzeitig zu totaler Überwachung und Abhängigkeit vom Provider. Ein nicht durchgeführter (kostenpflichtiger) Software-Update kann das ganze Gebäude unbrauchbar machen, da exemplarisch die Stromzufuhr abgestellt oder die Heizleistung auf Null reduziert wird. Ggf. wird auch der Zugang über eine Änderung des Codes verwehrt. Obsoleszenz eines ganzen Gebäudes; der Eigentümer wird über das Netz de facto entrechtet. (Anm.: Jeder hat im Kleinen bereits solche Erfahrungen gemacht, wenn Microsoft mit ungefragt übers Netz eingespielten Updates „alte“ Rechner verlangsamt, lahmlegt und damit unbrauchbar macht.) Im Rahmen derartiger Systeme erfolgt zum Zwecke der Steuerung, aber auch zum Datenabzug beliebig und permanent ein aktiver und passiver Zugriff auf allen medialen Kanälen. Verbrauchszähler, Bewegungssensoren, sowie bild- und tonübermittelnde Installationen machen nicht nur das Haus zum überwachten Objekt, sondern auch seine Bewohner. Heutige „smarte“ Gerätschaften lassen selbst die Ausrüstung von Stasioffizieren wie Spielzeug aussehen. Bis dato galt nach Art. 13 GG (1) „Die Wohnung ist unverletzlich“, d.h. externer Zugriff nur in extremen Ausnahmefällen, ggf. per richterlichem Beschluss. Dieser Verfassungsgrundsatz gehört wohl bald der Vergangenheit an.

Road to serfdom

Aggregiert man die Entmündigungseffekte über alle betroffenen Bereiche, ist der Mensch diesem System ausgeliefert. Nachdem der homo oeconomicus gescheitert ist, entwickelt sich ein neues Menschenbild, eine „moderne“ Form der Leibeigenschaft in einer digitalen Sklaverei. Der Mensch wird gefangen in einem Netz aus manipulierbaren Informationen, bevormundender Technik und dem Zwang, sich entsprechend algorithmischer Vorschläge oder Vorgaben zu verhalten. Der Mensch als Datensatz; akkumuliert über sämtliche Quellen vom Standesamt bis zu Erfassungsmedien wie exemplarisch Apple-watch und Überwachungseinrichtungen in Auto, Wohnung und Computer. Damit wird der Mensch, d.h. wir als Bürger zum perfekten Objekt im Internet of Things und damit systemkonform zum thing degradiert. Wollen wir das?

Industrie 4.0 – Ein neuer Feudalismus bahnt sich den Weg

Wie oben bereits erwähnt, stehen über und hinter allen Transaktionen und Netzverbindungen die eingangs so bezeichneten Intermediäre. Wer ist das? Was verbirgt sich dahinter?

Spontan fallen einem hier einige US-Unternehmen ein; allesamt weltweit agierende Internetakteure: Google, respektive dessen mächtige Holding Alphabet, der Handelskonzern Amazon, die Social media -Vertreter Facebook und Twitter, sowie die Plattformen Uber und Airbnb. Sie verfügen nicht nur jedes für sich über Marktmacht, sondern sind über persönliche Beziehungen und, oder Investoren verbunden, was ihren Einfluss noch vergrößert.

Uber (analog Airbnb) betreibt auf internationaler Bühne rechtswidrige Geschäftsmodelle auf Kosten von Fiskus, Passagieren und Fahrern im selbst geschaffenen rechtsfreien Raum; und das wird seitens gewissenloser Investoren mit Milliardensummen und gigantischen Bewertungen belohnt und gefördert. Nach klassischer Denkweise stehen dem keinerlei Werte/ Renditen aus dem Kerngeschäft der Personenbeförderung gegenüber; es muß sich ein anderes Ziel dahinter verbergen. Hier lotet CEO Kalanick aus, inwieweit ihm gewachsene Rechtssysteme überhaupt noch Limitationen auferlegen oder Spielregeln vorgeben können. Letztere definiert er nämlich gerne selber. In weiteren Protagonisten wie z.B. Zuckerberg (Facebook), Bezos (Amazon) und Schmidt (Google) hat er mächtige Mitstreiter.

Es geht hier nicht nur um die Anhäufung von sehr großen Vermögen in sehr kurzer Zeit. Es geht darum, dass globale Player im globalen Transaktionsnetzwerk dieses kontrollieren und sich über nationales Recht erheben: Haftung, Steuern, Arbeitsrecht. Der Datenschutz wird geschliffen und verkümmert zu einer historisch anmutenden Verbalie. Das erinnert doch sehr an die sog. robber barons John D. Rockefeller, J.P. Morgan und Andrew Carnegie. Stellvertretend sei Cornelius Vanderbilt zitiert: “What do I care about the law? Hain't I got the power?“ [1]. Damals wurden diese Herrschaften vom Präsidenten Theodore Roosevelt in ihre Grenzen verwiesen. So ein Korrektiv fehlt. Erstens gibt es heute keine Politiker diesen Kalibers und zweitens sind diese Unternehmen nicht mehr national verortet, was Sanktionen erschwert.

Diese Unternehmen entwickeln sich zu einem Informationsmoloch, der durch das Vernetzen möglichst vieler Geräte und Prozesse universelle, multiple Abhängigkeiten seiner „Kunden“ erzeugt. Die Gesellschaft steuert auf eine neue Art von Feudalismus zu. Die Data barons sind global vernetzt und staatenlos (Stichwort Cloud), d.h. nicht einmal mehr einer Nation verbunden, sondern nur noch im wörtlichen Sinn grenzenloser Macht- und Geldgier verpflichtet, ausschließlich auf sich und die Gruppenmitglieder fixiert. Das Agieren aus der cloud ist hier auch im übertragenen Sinne bezeichnend. Mit dem Bitcoin schafft man sich auch noch eine eigene Währung. Entgegen der nominellen Suggestion der Social media erfolgt eine zunehmende Ent-sozialisierung. Die Masse verliert den letzten Teil ihrer Machtbasis, die sie in vermeintlicher Demokratie ohnedies nur fragmentarisch besessen hat. Dem Oligopol der Datengiganten wächst eine enorme Machtfülle zu. Die sie steuernden Oligarchen sind die neuen Feudalherren in einer winner take all economy. An der Spitze der Transaktions- und Digitalisierungspyramide wird Kasse gemacht – mit erstaunlich wenig Personal. Diese New nobility without any "noblesse oblige" ist aus dem sozialen Wertesystem gefallen, entzieht sich jeglicher Verantwortung.

Politiker auf Tauchstation oder als Trittbrettfahrer?

Politiker fühlen sich seit geraumer Zeit berufen, sich überall, selbst in die persönliche Lebensführung einzumischen (Ernährung, Beleuchtung, Heizung, Staubsauger usw.). Basisargument ist die Rettung der Welt und das fürsorgliche Schaffen von Sicherheit; wer kann sich diesem moralischen Anspruch schon widersetzen? Damit stellen sie den selbstbestimmten Bürger in einer freiheitlichen Gesellschaft mehr und mehr in Frage.

Beim Thema Digitalisierung, das aufgrund seiner multiplen Auswirkungen massiv in die Grundkonstruktion unserer Gesellschaftsordnung eingreift, wo also politischer Diskurs und Rahmensetzung dringend erforderlich sind (im Sinne der Kernaufgaben unserer Parlamente), tauchen die Protagonisten der politischen Szenerie völlig ab. Von Fürsorglichkeit im Sinne von Schutz der Bürger vor einer digitalen Fußfessel keine Spur. Ein paar Fensterreden und an einschlägig bekannte Beratungsgesellschaften, die selbstredend pro domo argumentieren, vergebene Studien sind hierzu ein völlig unzulängliches Surrogat.

Oder – und hier beschleicht einen der Verdacht, dass Politakteure geleitet von Machtphantasien in der allumfänglichen Digitalisierung auf neue Einflussmechanismen für ihren Dirigismus des plebs spekulieren. Dagegen nehmen sich dann die bis dato bekanntgewordenen Möglichkeiten der NSA noch bescheiden aus.

Eine Charta Digitalis als notwendiger Rahmen

Das Internet der Dinge hat viele Facetten. Bei singulärer Betrachtung erscheint manches als vorteilhaft, effizienzsteigernd oder convenient. In der Aggregation von Transaktionsmacht, die im Rahmen einer globalen Vernetzung und durch die Konzentration von Datenmacht bei wenigen Gigaplayern stattfindet, liegen jedoch Gefahren. Es werden rechtliche und gesellschaftliche Errungenschaften in Frage gestellt und Einfluss auf unser Leben genommen. Der Kontrollverlust durch die Gestaltung der Transaktionsarchitektur wird überlagert durch multiple Sicherheitsrisiken, einerseits systemimmanent aufgrund der Vernetzung (Datenlecks etc.), andererseits durch die enorme Komplexität (Systemausfälle und störungen).

Einen derart massiven Eingriff in unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung durch selbsternannte Eliten und Datenoligarchen dürfen wir uns als Mitglieder von Demokratien, als Bürger einer aufgeklärten Welt nicht einfach gefallen lassen. Eine Welt(r)evolution mit solcher Tragweite braucht eine breite, vertiefende und kritische Begleitung

Im Grunde genommen erfordert eine so umwälzende und weltumspannende Invasion integrierter Technik- und Transaktionsmodelle eine neue Verfassung: eine national und international erarbeitete und abgestimmte Charta Digitalis Universalis - ohne Ausschluss der Bevölkerung und ohne Diktat selbsternannter Eliten.

Nur so können die fraglos mit dieser digitalen Entwicklung einhergehenden Chancen genutzt werden, ohne dass über ein gesellschaftlich vertretbares und verantwortbares Maß hinaus Machtbasen verschoben und neue Machtzentren geschaffen werden mit dem Ergebnis einer politischen, gesellschaftlichen Marginalisierung weiter Teile der Bevölkerung zu Manipulationsobjekten in einer digitalen Sklaverei.

Klaus Demleitner, 25. April 2016

 

[1] Zitiert nach: Matthew Josephson, The Robber Barons; Harcourt, Brace and Co.; New York, 1934, S.17